Im Bann seiner Küsse
Kirche gehst und betest.«
Er stieß ein hartes, verächtliches Lachen aus. »Um was?«
Sie spürte, wie eine Woge der Traurigkeit an ihr zerrte. Niemals, nicht in all den langen, leeren, stillen Nächten nach dem Tod ihrer Mutter hatte Tess je an ihrem Glauben gezweifelt. Da er das Fundament ihrer Seele war, empfand sie überwältigendes Mitleid mit Jack, der keinen solchen Halt hatte. »Nun, wie wär's für den Anfang um ein ehrliches Lachen anstatt dieses jämmerlichen verbitterten Bellens?«
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und schaute weg. »Ach Gott, Lissa ...«
»Bist du bereit, mir zu vertrauen?«
Er wollte den Kopf schütteln und hielt inne. Sein Zögern erfüllte ihr Herz mit Hoffnung.
»Ich werde dich nicht hintergehen«, setzte sie leise hinzu.
Er drehte sich zu ihr um. In seinen Augen lag tiefe Hoffnungslosigkeit. »Was willst du von mir?«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und legte eine Hand an seine Wange. »Du bist nicht allein. Gott...«
»Ha.«
Sie führte die Hand von der Wange zu seinem Herzen und spürte dessen Schlag. »Immerzu rufst du Seinen Namen an, Jack Rafferty Ich weiß, dass du gläubig bist. Oder es einmal warst.«
Er blickte auf die kleine weiße Hand, die beschützend auf dem verblassten blauen Stoff seines Hemdes lag. Langsam hob er den Blick und sah ihr in die Augen. Er suchte nach einer leichten, beiläufigen Antwort, die bewies, wie wenig ihm an ihrem Gott lag, doch war seine Kehle vor Gefühl trocken und eng. Sie hatte Recht. Einstmals, vor langer Zeit, hatte er an Gott geglaubt. Und an sich selbst.
»Jack, du musst nicht alles mit dir herumtragen«, sagte sie leise. »Gott wird dir helfen. Ich werde dir helfen.«
Ja, um ihr zu vertrauen, brauchte er Gottes Hilfe ... er wünschte sich nichts mehr als dieses Vertrauen ... ersehnte es so sehr, dass es ihn bis in die Seele schmerzte. Und noch immer brachte er kein Wort über die Lippen. Er konnte nur in ihre warmen, teilnahmsvollen Augen starren und apathisch nicken.
Sie warf ihm ein Lächeln zu, das ihn wie ein Stich traf. Sekundenlang wurden seine Knie weich.
»Komm, gehen wir«, sagte sie.
»Okay«, sagte er mit heiserer, fast unkenntlicher Stimme.
Ihr gelöstes Lächeln wirkte entspannend und ansteckend. Um seine Mundwinkel zuckte es.
»Ach, Jack Rafferty, jetzt lächelst du sogar.«
Er riss sich zusammen und wurde wieder ernst. »Komm, Lissa, bringen wir es hinter uns.«
Er hob das Körbchen hoch, vermied es aber, das darin friedlich schlafende Baby anzusehen. So gingen sie gemeinsam zum Schulhaus.
Savannah hörte, wie die Tür geöffnet wurde, und zuckte innerlich zusammen. Sie wusste, dass man ihrem Vater seit letztem Jahr, seit dem Picknick am vierten Juli, als er übergeschnappt war, mit Argwohn begegnete. Alle Köpfe drehten sich um, als Mama und Daddy durch die offene Tür eintraten.
Ihre Eltern standen eng beisammen - enger als sie die beiden jemals gesehen hatte. Die Gemeinde musterte sie kritisch und beäugte vor allem Daddy misstrauisch. Schön und wie von Gold umflossen sahen sie aus, als sie von der Sonne beschienen dastanden.
Keiner der beiden zuckte mit der Wimper, als wären sie sich der argwöhnischen Blicke gar nicht bewusst. Und dann tat Mama das Erstaunlichste. Sie ließ ihre Hand in seine gleiten.
Daddy stutzte, doch entzog er ihr die Hand nicht. Stattdessen sah er Mama mit großen Augen an. Und sie lächelte ihm zu.
Der Geistliche schlug laut auf seine provisorische Kanzel. »Willkommen, liebe Gläubige«, setzte er mit seiner nasalen Stimme an. »In meiner heutigen Predigt geht es um die Vergebung.«
Ein Kopf nach dem anderen wandte sich von dem Paar im rückwärtigen Teil des Klassenzimmers ab und dem Prediger zu.
Der Geistliche stürzte sich in eine salbungsvolle Predigt, die den hohen Wert der Vergebung pries, aber Savannah war nicht imstande, sich auf seine Worte zu konzentrieren. Immerzu musste sie an ihre Mama denken, die Daddys Hand gehalten hatte. Sie empfand dabei ein warmes Wohlgefühl. Nun schwand auch der letzte Zweifel an Mama. Und wenn Mama sich ändern konnte, war alles möglich.
Vielleicht würde aus ihnen sogar eine richtige, liebevolle Familie. Lächelnd schloss sie die Augen und betete.
Jack starrte in die offene Bibel auf seinem Schoß. Die kleinen vergilbten Seiten hätten ihm auf dem groben braunen Wollstoff seiner Hose alt und abgenutzt erscheinen müssen, aber das war nicht der Fall. Ganz im Gegenteil. Während er die abgegriffenen, mit
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