Im Banne des stuermischen Eroberers
gesehen. Daher ist es vermutlich keiner aus meinem Volk.“
Die Rage riss Hethe mit sich fort. Pein, Fassungslosigkeit und das Gefühl, versagt zu haben, tobten in ihm. Er ballte die Hände zu Fäusten, um nicht auf jemanden einzudreschen. Genau das nämlich wollte er - auf irgendjemanden einschlagen, wieder und wieder, bis ...
Er schüttelte sich, wie ein Hund sich Wasser aus dem Pelz schüttelte, wandte sich abrupt ab und stapfte über den Burghof davon.
„Wohin geht Ihr?“, rief Helen ihm besorgt hinterher und eilte ihm nach, die drei Wachen im Schlepptau.
„Irgendwohin, Hauptsache fort von hier“, erwiderte er ebenso scharf wie eisig.
„Dann lauft Ihr also wieder einmal davon ? “, rief sie entgeistert.
Hethe erstarrte, ehe er wütend zu ihr herumfuhr. „Ich bin noch nie im Leben vor irgendetwas davongelaufen!“
„Nun, bleiben und Euch den Dingen stellen tut Ihr jedenfalls auch nicht! Ihr habt mir selbst gesagt, dass Ihr Euch ständig in die Schlacht stürzt, um Holden zu entkommen. Krieg zu spielen ist ohne Frage einfacher, als der Wirklichkeit ins Auge zu sehen.“ Helens Stimme war schneidend und voller Bitterkeit. Dass er sich einfach davonstehlen wollte, stach ihr ins Herz wie ein Messer. Ihr war bewusst, dass sie sich wie ein waidwundes Tier gebärdete, indem sie ihn derart anfauchte.
„Im Krieg weiß man wenigstens, wer der Feind ist. Da muss man sich nicht sorgen, dass sich jemand von hinten anschleichen und einem die Kehle durchtrennen könnte!“ Wieder drehte er sich um, nur um noch einmal herumzuwirbeln und die Wachen mit einem frostigen Blick zu bedenken. „Diese drei dort täten gut daran, mir nicht länger nachzusetzen.“ Die Drohung, die in seinen Worten mitschwang, war unmissverständlich. Er machte kehrt und schritt über den Hof davon.
Die drei Männer zauderten und schauten Helen fragend an. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf und entließ sie damit. Sichtlich erleichtert nickten sie und trotteten in die entgegengesetzte Richtung. Helen blieb allein zurück und starrte ihrem Gemahl nach, der auf die Stallungen zuhielt. Als er kurz darauf sein Pferd herausführte, wurde ihr das Herz schwer.
Lord Hethe, der „Hammer of Holden“, lenkte sein Pferd aufs Tor zu und ritt davon. Einfach so, dachte Helen benommen. Steigt einfach so aufs Pferd und macht sich aus dem Staub. Und nahm alle ihre Hoffnungen auf eine glückliche Ehe mit sich.
Hethe war schon eine ganze Weile unterwegs, als sein Zorn endlich so weit verraucht war, dass er wieder klar denken konnte. Der Streit mit seiner Gemahlin ging ihm nicht aus dem Kopf. Was ihm vor allem zusetzte, war die fassungslose Frage: „Dann lauft Ihr also wieder einmal davon?“
Ein ums andere Mal ging er den Hader im Geiste durch. Er lief keineswegs davon. Flucht war feige, und Hethe war kein Feigling. Die Tatsache, dass er fortzog in den Krieg, bewies das doch. Stirnrunzelnd sann er über seine Worte nach. Die Tatsache, dass er fortzog in den Krieg? Das klang nicht gut. Aber es kam doch gewiss keiner Flucht gleich, oder?
Nun, aber dageblieben bist du tatsächlich nie, hielt ihm ein Teil seiner selbst folgerichtig vor Augen. Hethe schnitt eine Grimasse. Aye, aber es bestand ein Unterschied zwischen fortgehen und fliehen, hielt er entgegen - wodurch er sich jedoch nicht zu täuschen vermochte.
Großer Gott, er floh tatsächlich, tat es schon seit Langem. Die Erkenntnis wurmte ihn. Er hatte sich stets etwas auf seinen Mut eingebildet. Seine Kühnheit im Kampf war alles, auf das er stolz sein konnte. Er war nie ein mustergültiger Sohn, Gemahl oder Lord gewesen. Und wie sehr er als Lord versagt hatte, war ihm jüngst vor Augen geführt worden. Zu erkennen, dass sein Wagemut im Krieg allein daher rührte, dass er vor etwas davonlief, schmälerte all seine Ruhmestaten. Wovor aber floh er? Vor Ungemach?
Nay, das konnte es nicht sein. Der Krieg hielt genügend Ungemach bereit, und dennoch lief er nie davon. Angst vielleicht? Hethe zog dies ernsthaft in Betracht, doch es schien nicht zu passen. Er war nicht von Tiernay geflüchtet, weil er seine Gemahlin oder denjenigen fürchtete, der ihn zu töten trachtete. Er war sich der Gefahr bewusst und zuversichtlich, ihr begegnen zu können ... nun, da er gewiss war, dass es sich tatsächlich um Mordversuche gehandelt hatte.
„Warum also bist du nicht auf Tiernay und gehst der Angelegenheit auf den Grund?“, fragte er sich verdrießlich. Seufzend zwang er sich, Ruhe zu bewahren und die Sache
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