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Im Banne des stuermischen Eroberers

Titel: Im Banne des stuermischen Eroberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynsay Sands
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Wein, die das Gesinde gebracht hatte. Helen saß in eine Decke gehüllt da, Hethe hingegen nackt, und zunächst aßen sie in sonderbar unbehaglichem Schweigen. Schließlich löste der Wein ihnen die Zunge. Hethe fing an, Helen mit Fragen zu löchern, und riss so die Mauer zwischen ihnen ein.
    Er erfuhr viel über ihre Kindheit. Helen erzählte ihm vom Verlust ihrer Mutter und dass sie daraufhin von ihrer Tante großgezogen worden war. Sie berichtete ihm vom Tod ihres Vaters und der Last der Verantwortung, die damit an sie überging. Diese Verantwortung nahm sie sehr ernst. Während er ihr gelauscht hatte, war er von Scham übermannt worden. Sie liebte die Menschen hier und sorgte sich um sie. Sie wusste, wie sie hießen, welcher Arbeit sie nachgingen, kannte Freude und Leid, Stärken und Schwächen jedes Einzelnen. Helen war wahrhaft edelmütig gewesen all die Jahre - und war es noch.
    Zwei Dinge fielen ihm auf, als er so zurückblickte. Zum einen die Gemeinsamkeiten zwischen ihm und seiner Frau. Zwar hatte Helen es nie direkt angesprochen, aber aus all ihren Geschichten ließ sich schließen, wie wenig Zuneigung ihr Vater ihr entgegengebracht hatte, wie kalt und gleichgültig er ihr begegnet war. Ähnlich seinem eigenen Vater, der ihn, wenn er überhaupt einmal das Wort an ihn gerichtet hatte, immerzu kritisierte. Hethe wie auch Helen war früh die Mutter gestorben, und während bei Helen die verwitwete Tante an die Stelle der Mutter getreten wär, hatte Hethe William und Stephen gehabt.
    Zudem waren er wie auch sie eine Enttäuschung für den Vater gewesen - Hethe, weil er seine Schwierigkeiten mit Schreiben und Lesen und somit einem Gutteil seines Unterrichts gehabt hatte; Helen, weil sie nicht der Junge war, den ihr alter Herr sich gewünscht hatte.
    Aye , Hethes Vergangenheit deckte sich in vielerlei Hinsicht mit der ihren. Doch es gab auch Unterschiede. Aus dem, was sie erzählt hatte, ging hervor, dass sie bei einem jeden Problem oder Konflikt die Ärmel hochkrempelte und sich stellte - so wie sie es getan hatte, als Templetun mit dem königlichen Heiratsbefehl erschienen war. Obwohl sie Hethe für einen grausamen Schlächter gehalten und sich selbst in Gefahr gewähnt hatte, war sie nicht in die sicheren Mauern eines Klosters geflohen, um sich hinter einem
    Ordensgelübde zu verschanzen. Stattdessen war sie geblieben und hatte gekämpft, hatte einen Plan erstellt und ausgeführt. Das war das genaue Gegenteil dessen, was Hethe stets getan hatte. Er hatte sich immer abgewandt und war gegangen, hatte die ganze Verantwortung Stephen aufgebürdet und sich in den Krieg geflüchtet, der ihm gefühlsmäßigen Abstand zu allem ermöglichte. All das erkannte er jetzt erst; damals war es ihm verborgen geblieben.
    Doch er würde nicht noch einmal fliehen, beschloss er. Höchste Zeit, dass er aufhörte, sich wie ein Kind zu gebärden und stattdessen wie ein Mann handelte. Höchste Zeit, sich seiner Pflichten anzunehmen, wie unzulänglich er sich in dieser Hinsicht auch fühlen mochte. In dem Bemühen, diese zu bewältigen, konnte er kaum schlimmer versagen als durch seine Flucht. Aye. Er würde nach Tiernay zurückkehren und erledigen, was es zu erledigen galt. Außerdem, entschied er, würde er sein Äußerstes geben, um die Liebe seiner Gemahlin zu erlangen. Der Entschluss, sich den Dingen und seinen Ängsten zu stellen, gab ihm seltsamerweise das Gefühl, plötzlich eine Bestimmung zu haben. Auch schien die letzte Glut der Rage, die in seiner Brust geschwelt hatte, damit zu erlöschen.
    Hethe ließ sein Pferd halten und wollte es gerade wenden, als der Schmerz ihn mit voller Wucht traf. Entsetzt zog er die Luft ein. Als er an sich hinabblickte, sah er einen Pfeil aus seiner Brust ragen, aber da glitt er auch schon aus dem Sattel. Hände und Leib versagten ihm den Dienst - alles war plötzlich taub. So spürte er kaum, dass er auf dem Boden aufschlug. Die Geräusche um sich her vernahm er allerdings. Er hörte sein Pferd erschrocken schnauben, ehe es davonstob und ihn auf dem Pfad liegend zurückließ.
    Halb drehte er sich auf die Seite, eine Wange auf den Boden gepresst, und beobachtete, wie sein Blut und mit diesem seine Lebenskraft versickerten. Er sah, wie die Erde begierig sein Blut trank, und vage dachte er, dass es doch eine rechte Schande sei. Nun würde er Helen nicht mehr sagen können, dass er sie liebte.
    „Mylady!“
    Blinzelnd öffnete Helen die Augen. Sie lag im Bett und stemmte sich mühsam hoch.

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