Im Banne des stuermischen Eroberers
Heilerin ins Gemach hasten. Sie warf nur einen Blick auf die drei siechen Gestalten auf dem Bett und schritt schnurstracks zu Hethe. Der allerdings scheuchte sie fort.
„Es geht mir gut. Sieh nach Goliath, er hat eine frische Wunde. Ich brauche lediglich einen neuen Verband.“ Amüsiert sah er, wie Verblüffung in ihren Augen aufblitzte, bevor sie sich dem Hund am Fußende widmete. Hethe wandte Stephen den Kopf zu. Erst jetzt bemerkte er den blutdurchtränkten Verband um die Brust seines Halbbruders.
„Wem bist du denn in die Fänge geraten?“, fragte er stirnrunzelnd.
„William.“
„Ich auch.“
Statt etwas zu erwidern, gab Stephen nur einen grunzenden Laut von sich. Die Rothaarige war dabei, den Verband zu entfernen, und das bereitete ihm offenbar Schmerzen.
Hethe beobachtete, wie seine Gemahlin sich an seinem Verband zu schaffen machte, der ebenfalls blutbesudelt war. Dann schaute er abermals zu dem Rotschopf auf.
„Wer ist sie?“, fragte er Stephen neugierig.
„Meine Mutter“, presste der zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Die Frau, von der die Rede war, befingerte gerade seine Verletzung.
„Oh, angenehm“, sagte Hethe höflich, was Stephens Mutter ignorierte.
„Sie zürnt mir“, entschuldigte Stephen ihr rüdes Gebaren. „Dir übrigens auch.“
„Wieso mir?“, fragte er unwirsch. Diese Feststellung lenkte ihn so sehr ab, dass er kaum zusammenzuckte, als Helen seine Wunde untersuchte. Irgendwie scheint mir jeder ständig zu zürnen, dachte er gereizt.
„Sie legt es dir zur Last, dass meine Wunde wieder aufgegangen ist, als ich dich im Wald aufgeklaubt und hergebracht habe.“
„Du warst das?“
„Jawohl.“
„Danke.“
„Bitte.“
Beide verstummten und schauten Goliath mitfühlend an, der gerade winselnd über sich ergehen ließ, dass Joan ihm den Schnitt reinigte. Während Helen und Stephens Mutter ihm und Stephen frische Verbände anlegten, überlegte Hethe fieberhaft, wie er zur Sprache bringen sollte, was ihm seit der Unterhaltung mit William auf der Seele brannte.
„Wie ich höre, bist du mein Bruder“, platzte er schließlich einfach heraus.
„Aye."
„Schön. Hatte nämlich bislang keinen.“
„Wir hatten noch einen Bruder“, stellte Stephen betrübt fest, und sie beide schauten zu Williams Leichnam hinüber. Beide schwiegen eine Weile, ein jeder in seine - zumeist angenehmen -Erinnerungen vertieft.
Kaum waren vom Gang her stampfende Schritte zu hören, als auch schon die zwei Männer hereinstürzten, die Hethe vormals bewacht hatten. Ducky war bei ihnen und brachte sie zu dem Toten. Die beiden stämmigen Burschen betrachteten die Schweinerei, die sie beseitigen sollten, und einer von ihnen murmelte angewidert etwas vor sich hin.
„Ich wünschte ...“ Hethe stockte. Es war sinnlos, sich zu wünschen, dass die Dinge anders gelaufen wären. Dass er gern um seine Brüder gewusst und erkannt hätte, wie wichtig es William gewesen war, selbst etwas zu erreichen. Hätte er es gemerkt, so hätte er ihm vielleicht unter die Arme gegriffen. Dann wäre die Sache womöglich anders ausgegangen.
„Es lag nicht in deiner Macht, etwas zu ändern.“
Stephen schaute ihn verständnisvoll an, und Hethe zuckte unbehaglich mit den Schultern. Stephen kannte ihn zu gut.
„William hat seinen Weg selbst gewählt“, fügte Stephen leise
an.
„Wirklich?“, fragte Hethe verbittert. „Haben wir wirklich eine Wahl?“
„Aye“, entgegnete sein Bruder entschieden. „Du hast den deinen gewählt... und nun beschlossen, einen anderen einzuschlagen.“ Als Hethe ihn scharf ansah, lächelte er verhalten. „Ich kenne dich fast mein ganzes Leben lang, Hethe, und du hast stets einen Zorn mit dir herumgetragen, der dich niederdrückt hat wie ein schwerer Umhang. Dieser Zorn scheint mir schwächer geworden zu sein.“
„Das stimmt“, erwiderte Hethe und blickte zu seiner Gemahlin hinüber, die sich gemeinsam mit Ducky daranmachte, den beschmutzten Boden zu reinigen. Er war felsenfest davon überzeugt, dass es Helen war, die diesen Wandel in ihm bewirkt hatte.
„Nun, auch William hatte eine Wahl, und er hat die falsche getroffen. Du hingegen hast richtig gewählt, glaube ich.“
„Aye, das glaube ich auch“, murmelte er, räusperte sich und lächelte Stephen schief an. „Tja“, fuhr er betont heiter fort, um die Stimmung zu lockern. „Da William nicht mehr ist, nehme ich an, dass ich nun dein Lieblingsbruder bin.“
Stephens Lachen ging prompt in ein
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