Im Banne des stuermischen Eroberers
hatten. Als Lord Holden die Decke aufgehoben hatte, hatte er nicht einmal versucht zu verhehlen, was sich darunter befand. Während er die Decke zusammenfaltete, starrte Helen entsetzt blinzelnd die zerdrückten Pfingstrosen an. Erst da fiel ihr ein, wie umständlich er das große Tuch ausgebreitet hatte. Er hatte es auf den Boden gelegt, wieder aufgehoben, umgedreht und abermals ausgebreitet, ehe er endlich zufrieden gewesen war. Zweifellos war die Seite, auf der sie gesessen hatten, voller Blütenstaub gewesen. Daher Helens heftige Niesanfälle.
Oh, Lord Holden war ein Schurke, das stand fest. Selbst sein Angebot, doch zur Burg zurückzukehren, als Helen zu niesen begonnen hatte, war Berechnung gewesen. Er machte diesen Vorschlag, bevor er den Beutel mit Speisen aus der Dorfschenke hervorholte. Hätte Helen davon gewusst, wäre sie auf sein Angebot eingegangen in dem Bewusstsein, dass ihr Plan durchkreuzt worden war. Aber nay , er hatte den vernichtenden Schlag erst gesetzt, nachdem er ihr die Versicherung entlockt hatte, bleiben zu wollen. Daher blieb ihr keine andere Wahl, als zu ihrem Wort zu stehen und vorzugeben, ihr eigenes verdorbenes Mahl zu essen.
„Mylady?“
Helen entzog ihm ihren Arm und schüttelte den Kopf. „Nay, ich denke, ich werde mich hinlegen und ausruhen, danke“, erwiderte sie kühl. Sie wartete darauf, dass er gehen würde, und war erleichtert, als er dies nach kurzem Zögern tat.
„Ein feiner Herr!“, zischte sie leise, während sie auf seine Schritte lauschte, die sich in Richtung Tafel entfernten. Seufzend blinzelte sie, bemüht zu sehen, wohin sie trat. Sie wandte sich dorthin, wo sie die Treppe vermutete, doch kaum hatte sie sich in Bewegung gesetzt, als sie das Trappeln eiliger Schritte vernahm.
„Helen?“
„Tante Nell?“, hauchte sie erleichtert.
„Aye, Liebes. Lord Holden sagte, du könntest womöglich meine Hilfe brauchen. Ist irgendetwas ... Ach, herrje, Grundgütiger!“ Tante Nell keuchte. Offenbar hatte sie einen Blick auf Helens Gesicht erhascht. „Was ist geschehen?“
„Hilf mir nach oben, dann erzähle ich dir alles.“
„Warte, lass mich kurz Ducky ruf... Oh, Lord Holden schickt sie uns gerade nach. Einen Augenblick.“
Helen hörte Stoff rascheln, als ihre Tante sich ein paar Schritte entfernte, um Ducky abzufangen. Eine gemurmelte Unterhaltung folgte, und danach kündete ein Rascheln von Nells Rückkehr. Sie nahm Helen beim Arm und führte sie zur Treppe.
„Wie laufen die Verhandlungen über den Ehevertrag?“, erkundigte sich Helen, als sie die ersten Stufen nahmen.
„Oh, ich verzögere die ganze Sache, so gut ich kann“, murmelte ihre Tante, ehe sie den Griff um Helens Arm verstärkte. „Das ist doch in deinem Sinne, nicht wahr?“
„Aye, ich benötige mehr Zeit. Wir brauchen einen anderen Plan. Diesen hat er aufgedeckt.“
„Wie bitte? Oh, nay. Wie das?“
„Das weiß ich nicht“, gab Helen seufzend zu. Sie hatten den oberen Treppenabsatz erreicht und schritten den Gang entlang zu Helens Schlafgemach. „Schon am ersten Abend nach seiner Ankunft hat mich der Verdacht beschlichen, dass er Bescheid weiß. Inzwischen bin ich überzeugt, dass ihm alles klar ist.“
„Was ist passiert heute? Wie kommt es, dass du so aussiehst?“, fragte Tante Nell besorgt. Sie hatten das Gemach erreicht und traten ein. „Er hat dich doch nicht etwa geschlagen?“
„Nay. “ Missmutig verzog sie das Gesicht. „Bei unserer Rast hat er mich auf Pfingstrosen sitzen lassen.“
„Wie bitte?“, rief Nell entsetzt. „Aber wie konntest du das nur zulassen?“
„Ich wusste nichts von den Blumen“, räumte sie gereizt ein, während sie sich vorsichtig aufs Bett legte. „Ich war abgelenkt, und er hat eine Decke über den Pfingstrosen ausgebreitet. Oder vielmehr hat er zunächst die eine Seite der Decke über die Pfingstrosen gezogen, sie danach umgedreht und die Blumen darunter verborgen. Ich habe völlig ahnungslos Platz genommen und konnte mir zunächst keinen Reim darauf machen, warum ich immerzu niesen musste.“ Sie hörte, dass sie bitter klang.
„Aber wieso hast du ihn dann nicht gebeten, dich zurück zur Burg zu bringen?“
„Weil ich ihn dazu bringen wollte, die Pasteten und den verschimmelten Käse zu essen“, gestand sie verdrossen. „Als mir aufging, dass er meinen Plan vereitelt hatte, war es zu spät. Ich saß fest.“
„Wie hat er...?“
Helen brachte ihre Tante mit einem ungeduldigen Wink zum Schweigen. Ihr war nicht danach,
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