Im Banne des stuermischen Eroberers
haben“, meinte er schließlich. „Vielleicht sollten wir lieber zur Burg zurückkehren, statt hier zu speisen.“
Kurz zog Helen dies ernsthaft in Betracht. Etwas hier draußen machte ihr arg zu schaffen. Gemeinhin hatten nur Pfingstrosen eine solche Wirkung auf sie, aber als sie sich umschaute, konnte sie keine erspähen. Irgendwo in der Nähe müssen welche sein, dachte sie unfroh, als ein weiterer Niesanfall sie überkam. Ihr Blick fiel auf das ungenießbare Mahl, das zwischen ihnen ausgebreitet war, und sie straffte die Schultern. Bevor sie zurückkehrten, würde sie dafür sorgen, dass er es hinunterwürgte. Ihre juckenden, gereizten Augen waren nichts im Vergleich zu dem Bauchweh, das ihn erwartete.
„Nay“, erwiderte sie daher und wandte hastig den Kopf ab, um zu niesen. „Es wäre doch schade, dieses k...k...k... Hatschii! Dieses köstliche Mahl verk... Hatschii! Verkommen zu lassen. Ich begnüge mich gern damit, Euch Gesellschaft zu leisten, während Ihr esst, und danach können wir zurück... Hatschii! Zurückkehren.“ „Wie entgegenkommend von Euch, Mylady. Aber Ihr müsst keineswegs nur zusehen. Wie könnte ich Euch hungern lassen, während ich mich labe?“
„Oh, ich ...“ Fieberhaft kramte sie nach einem Vorwand, doch Lord Holden fuhr bereits fort.
„Ist es nicht eine glückliche Fügung, dass ich William zur Dorfschenke geschickt habe, um etwas zu essen einzuhandeln für den Fall, dass ein eben solches Malheur passieren sollte?“
Mit einem Lächeln, das nicht weniger strahlend war als das von ihr aufgesetzte, zog er unter der Decke einen Beutel hervor, der um einiges größer war als Helens Proviantsäckchen. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen beobachtete sie, wie er Speise um Speise herausholte. Als Erstes kam ein gebratenes Hühnchen zum Vorschein, und zwar nicht nur ein Schenkel oder ein Stück Brust, sondern ein ganzes, goldbraun gebraten und saftig. Helen lief das Wasser im Mund zusammen. Als Nächstes tauchte ein Stück Käse auf, der im Gegensatz zu dem zerronnenen, bereits krümeligen Brocken, den sie mitgebracht hatte, fest und aromatisch wirkte. Ein Brotlaib folgte, weich und frisch, und danach ein verführerisch duftendes Eintopfgericht.
„Ich bin gewiss, dass all dies nicht annähernd so schmackhaft ist wie das, was Euer Koch zubereitet hat“, erklärte er, während Helen das Essen anstarrte und sich dabei mit der Zunge über die Lippen fuhr. „Aber ich werde mich mit diesem bescheidenen Mahl zufriedengeben und überlasse Euch die erlesenen Gaben Eures Kochs.“ Der spöttische Unterton blieb ihr nicht verborgen. Langsam hob sie den Blick. Der Triumph in seinen Augen war nicht zu übersehen.
Als sie zurück nach Tiernay Castle kamen und Helen von Lord Holden in die Große Halle geleitet wurde, saß das Burgvolk gerade beim Mittagsmahl. Lord Holden führte sie deshalb, weil ihre Augen fast zugeschwollen waren, was ihr die Sicht nahm. Die Rast, auf die er gedrängt hatte, lag eine ganze Weile zurück, denn es hatte gedauert, bis er das von seinem Ranghöchsten im Gasthaus Erstandene bis auf den letzten Krümel verdrückt hatte. Daher hatte man mit dem Mahl auf der Burg schon längst begonnen, als sie eintrafen. Und Lord Holden hatte den Proviant in der Tat bis auf den letzten Bissen gegessen. Die Hühnerknochen waren blank geknabbert, und selbst vom Brot war nicht ein Brösel übrig geblieben.
Dieser Vielfraß, dachte sie verbittert. Nicht ein Stück Käse hatte er ihr von seinem Festessen angeboten, sondern sie dazu angehalten, sich an ihrer eigenen Kost zu vergreifen. Er sei überzeugt davon, hatte er bemerkt, dass ihr Koch alles nach ihren Vorlieben zubereitet habe und dass es ihm nicht einfallen würde, ihr diesen Genuss vorzuenthalten. Also hatte Helen die vergangenen Stunden damit zugebracht, unter dem Deckmantel ihrer immer heftiger werdenden Niesanfälle schimmeligen Käse und verdorbenes Fleisch auszuspucken.
„Wünscht Ihr an der Tafel Platz zu nehmen?“
Lord Holden sprach ganz nah an ihrem Ohr, und Helen versteifte sich, denn sein beflissener Tonfall konnte sie nicht narren. Der Mann war ein Ungeheuer. Ein Scheusal. So grausam, wie ein Mensch nur sein konnte. Und sie wollte verflucht sein, wenn sie ihren gegenwärtigen Zustand vor aller Welt zur Schau stellte - ein Zustand, an dem allein er schuld war, wie sie wusste. Wie formvollendet er sie hereingelegt hatte, war ihr aufgegangen, sobald sie ihr Mahl unter freiem Himmel beendet und alles zusammengepackt
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