Im Bannkreis Des Mondes
aufrechterhalten könnte …
Die Einsamkeit überschwemmte Abigail wie eine Welle kaltes Meerwasser. Sie wollte sich von diesem erdrückenden Gefühl nicht niederringen lassen. Stattdessen zwang sie sich, den vor ihr liegenden Tag anzugehen. Sie krabbelte aus den Fellen und richtete sich auf. Neugierig blickte sie sich in der Schlafkammer um. Dankbar fand sie einen Krug mit Wasser neben einer großen Holzschüssel, die bereits mit Wasser gefüllt war. Beides stand direkt unter dem Fenster auf einem Tischchen, das gestern Abend noch nicht dort gestanden hatte.
Wer war wohl so aufmerksam gewesen, sie damit zu versorgen?
Eigentlich war es egal, ob Talorc oder Guaire dafür gesorgt hatte. Es war jedenfalls eine höchst willkommene Geste. Abigail war einfach dankbar, weil jemand daran gedacht hatte.
Sie war nicht überrascht, dass sie nicht aufgewacht war, als man das Tischchen in die Kammer getragen hatte. Sie hatte bemerkt, dass ihre Neigung, beim geringsten Anzeichen, dass ein anderer Mensch in ihrer Nähe war, aufzuwachen, nach der ersten Nacht in Talorcs Armen vollständig verschwunden war. Bei ihm fühlte sie sich sicher. Sie hatte nicht einmal nachträglich Angst, weil jemand in der Kammer gewesen war, während sie schlief. Keiner würde es wagen, ohne die Erlaubnis ihres Mannes einzutreten.
Wenn er sie bloß vor ihren eigenen Schwächen beschützen könnte …
Was sollte sie tun, wenn die Stimmen in ihrem Kopf nicht verstummten? Was, wenn sie schlimmer wurden? Durfte sie es riskieren, Kinder zu bekommen, wenn sie genau wusste, wie labil ihr Verstand war?
Abigail versuchte, diese Fragen zu verdrängen. Jetzt fand sie ohnehin keine Antwort darauf. Aber die Folgen ihres neuen Leidens beschäftigten sie, während sie sich wusch. Ihre Sorgen wuchsen, bis ihre Hände so heftig zitterten, dass sie drei Anläufe brauchte, um die Falten ihres Plaids richtig unter dem Gürtel zurechtzulegen. Es sah nicht besonders ordentlich aus.
So ging das nicht weiter. Sie musste sich im Griff haben. Sie konnte die Gegebenheiten nicht ändern; sie konnte nur darum beten, nie wieder diese Stimmen zu hören. An diesem Gedanken hielt sie sich fest und verließ die Kammer.
Abigail war die Treppe schon halb hinuntergegangen, als sie merkte, dass jemand sie beobachtete.
Sie hob den Blick von den Stufen unter ihren Füßen und schaute hinunter in die große Halle. Zuerst dachte sie, die Halle sei leer, da sie keine Bewegung wahrnahm. Erst dann sah sie den alten Mann, der gestern so lautstark seinem Missfallen an Talorcs Vermählung mit ihr Ausdruck verliehen hatte. Er saß am entfernten Ende eines der beiden Tische und starrte sie finster an. Und hätten Blicke Feuer entfachen können, hätte sie sich an seinem Blick verbrannt.
Abigail versuchte es mit einem unverbindlichen Lächeln, doch der Blick des Alten blieb düster. Da sie wegen des Grübelns über ihre Probleme ohnehin schon durcheinander war, stolperte sie fast über die nächste Steinstufe. Zum Glück gelang es ihr, sich zu fangen.
Plötzlich war Niall neben ihr. Er sagte etwas an den alten Mann gewandt, das Abigail nicht mitbekam. Der grauhaarige Krieger runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
Niall blickte zu ihr hoch, und seine Haltung verriet sein Missfallen nur allzu deutlich. »Talorc hat doch befohlen, Ihr sollt Euch von einem seiner Männer helfen lassen, wenn Ihr die Treppe benutzt.«
»Ich bin durchaus in der Lage, eine Treppe hinunterzugehen«, entgegnete sie. Sein Blick verriet ihr allerdings, dass sie nicht laut genug gesprochen hatte.
Na wunderbar. Sie legte eine Hand auf ihre Kehle und versuchte es erneut. Zum Glück spürte sie jetzt die Vibrationen ihrer Stimmbänder. Ihre Stimme war jetzt lauter.
Es genügte jedenfalls, dass Nialls Verwirrung wich, auch wenn er über ihre Antwort nicht sonderlich erfreut zu sein schien. Er durchquerte die Halle und nahm zwei Stufen auf einmal, ehe sie allein weitergehen würde. Seine Miene verhärtete sich, als er ihr seinen Arm bot.
Sie verdrehte die Augen, akzeptierte jedoch seine Hilfe und ließ sich von ihm die Stufen nach unten geleiten. Als sie den Fuß der Treppe erreichten, sah sie Guaire und Una die Halle betreten. Sie lächelte ihrem neuen Freund zu und versuchte, die Frau nicht finster anzuschauen, die am Vortag alles andere als freundlich zu ihr gewesen war.
Trotz Unas Haltung war Abigail doch erleichtert, denn sie schien noch immer als Haushälterin der Burg ihren Dienst zu verrichten. Zumindest
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