Im Bus ganz hinten
Pfleger ihn dann wie ein Tier an sein Bett fesselten. Sie behandelten ihn wie den letzten Dreck! Dabei konnte das arme Schwein doch nichts dafür, dass es so dermaßen verrückt war. Verglichen mit ihm, kam ich mir richtiggehend normal vor. Das machte mir Mut.
Immer wenn ich es gar nicht mehr in einem Raum mit Roland aushielt, setzte ich mich raus auf den Gang und starrte an die Decke. Eines Tages setzte sich jemand zu mir.
»Hi, ich bin Emilie«, hauchte eine verrauchte Stimme. Das Mädchen hatte kurze, rote Haare, schneeweiße Haut und ein kleines, liebes Gesicht. Sie war gekleidet wie eine Punkerin. Emilie war das erste Mädchen, das ich auf Anhieb richtig geil fand.
»Wer bist du? Und warum bist du hier?«, fragte sie mich und zündete sich einfach eine Kippe an. Dass direkt über unseren Köpfen ein »Rauchen verboten«-Schild hing, interessierte sie anscheinend reichlich wenig.
»Pa-Pa-Patrick«, stotterte ich. Sonst war ich ja nicht gerade schüchtern, aber dieses Mädchen brachte mich irgendwie aus dem Konzept.
»Ich bin vom Teufel verfolgt worden. Er wollte mich holen«, erklärte ich, und irgendwie schämte ich mich für das, was ich sagte. Doch Emilie war die erste Person, die sich über mein Problem so gar nicht zu wundern schien.
»Kenn ich«, murmelte sie gelassen, die Kippe schräg in ihrem Mundwinkel. Sie zog den linken Ärmel ihres grauen Hoodies bis zum Ellbogen nach oben. Und jetzt bekam ich Gänsehaut! Ihr gesamter Unterarm war aufgeschlitzt. Blutig. Krustig. Vernarbt.
»Immer wenn der Teufel zu mir kommt, muss ich mich ritzen. Nur wenn ich mich selbst verletze, spüre ich, dass ich noch am Leben bin. Und bevor ich gar nichts mehr spüre, entscheide ich mich lieber für die Schmerzen«, erklärte sie mir. Ich war geschockt. Und gleichzeitig überglücklich! Hatte ich in Emilie endlich eine Seelenverwandte gefunden? War sie vielleicht die erste Person auf diesem Erdball, die mich verstand?
Wir wurden unsanft unterbrochen: »Bist du verrückt? Mach sofort die gottverdammte Zigarette aus!«, schrie Schwester Kerstin von der anderen Seite des Ganges – ihre sonst so süße Radiostimme klang plötzlich ziemlich fies. Und dann passierte etwas, was ich bislang nur aus schlechten Gangsterfilmen kannte: Emilie drückte die Kippe auf ihrem eigenen Unterarm aus. Es roch nach verbranntem Fleisch. Mir wurde übel.
»Los, ab in dein Zimmer«, fauchte Kerstin.
»Ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass du hier nicht rauchen darfst!« Emilie rannte davon. Auch ich ging zurück in meine Zelle und legte mich auf mein Bett.
»Ist die vielleicht cool«, dachte ich beeindruckt und geschockt zugleich. Dann schlief ich ein.
In den nächsten Tagen verbrachte ich immer mehr Zeit mit Emilie. Wir gingen zusammen zum Frühstücken, zum Mittag- und zum Abendessen. Sie wurde zu meiner einzigen Verbündeten in der Klapse. Irgendwie waren wir auf der gleichen Wellenlänge. Doch immer wenn sie merkte, dass ich sie toll fand, belächelte sie das nur. Es war wirklich schwer, an sie heranzukommen, aber irgendwie törnte mich genau das auch an. Je mehr sie mir die kalte Schulter zeigte, desto mehr wollte ich sie. Eines Nachts sehnte ich mich so sehr nach Emilie, dass ich mich heimlich zu ihr ins Zimmer schlich. Ich wollte mich einfach zu ihr ins Bett legen. Ein bisschen kuscheln. Sie riechen. Neben ihr einschlafen. Ganz langsam öffnete ich ihre Tür – und ab da lief alles ganz anders als geplant. Den Anblick werde ich wohl mein Leben lang nicht mehr vergessen: Emilie kauerte auf dem Boden neben ihrem Bett und wimmerte leise. Alles war voller Blut. Neben ihr lagen mehrere Einweg-Rasierklingen. Mir wurde schlecht. Sie hatte sich wieder geritzt, aber diesmal war ich mir nicht sicher, ob sie nicht sogar versucht hatte, sich umzubringen.
»Was zum Teufel hast du nur gemacht?«, brüllte ich sie verzweifelt an. Ich stürmte auf sie zu, riss mir mein Shirt vom Leib und verband damit ihre Arme. Ich drückte sie fest an mich.
»Emilie, warum machst du das?«, wiederholte ich immer wieder meine Frage. Aber Emilie blieb stumm. Ihre Augen waren leer. Es waren nicht einmal mehr Tränen da, die sie hätte herausweinen können. Sie zitterte am ganzen Körper. Ich schrie. Es war, als wäre der Teufel zurückgekehrt. Ich klingelte nach Schwester Kerstin. Die schickte mich weg:
»Emilie braucht jetzt Ruhe. Geh schlafen, Patrick.«
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich Angst. Ich machte mir große Sorgen um Emilie. Aber
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