Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Bus ganz hinten

Im Bus ganz hinten

Titel: Im Bus ganz hinten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fler
Vom Netzwerk:
schreckte wieder hoch. Das Ganze zehrte an meinen Kräften. Ich war körperlich am Ende. Immer wieder bekam ich hektische Anrufe von Aggro: Fler, Alter. Mach dies, mach das. Sie stressten mich. Wie hätte ich in diesem Zustand souverän irgendwelche Fragen beantworten sollen? Bei meinem letzten Radiointerview hatte ich es gerade noch hinbekommen, mich aus dem Auto ins Gebäude zu schleppen. Moussa hatte mich stützen müssen. Ohne ihn wäre ich einfach umgekippt wie ein nasser Sack.
    Ich hatte es so dermaßen satt, noch weiter zu kämpfen. Mein ganzes Leben lang war ich mit dem Kopf durch die Wand gegangen, ich hatte immer weitergemacht und am Ende wieder und wieder meinen Willen durchgesetzt. Aber diesmal schien die Wand selbst für meinen Schädel zu dick. Ich musste mich zurückziehen, eine neue Kriegstaktik für mein Leben erstellen.
    Schließlich ging ich zu meiner alten Therapeutin, Frau Dr. Barbara Uhlmann-Lubich. Sie merkte allerdings schnell, dass sie diesmal nicht viel machen konnte. Bei jeder Therapiestunde, zu der ich kam, verschlimmerte sich mein Zustand. Anstatt ihre Fragen zu beantworten, fragte diesmal ich ihr ein Loch in den Bauch: »Wie soll ich nur mit der Angst klarkommen?« Und da meine Angst diesmal berechtigt war, wusste auch sie keine Lösung. Ich verlor jeglichen Mut. Am Ende eines Gesprächs verschrieb mir die Therapeutin ein Schlafmittel, damit ich wenigstens pennen konnte.
    »Nimm erst mal nur eine halbe Tablette«, riet sie mir, »das Zeug ist ziemlich stark.« Alles klar. Ich sollte mich also wieder betäuben. So war es ja mein ganzes Leben lang gewesen: Wenn die Leute nicht mehr wussten, wie sie mit mir umzugehen hatten, dann verabreichten sie mir Tabletten.
    »Danke, Frau Doktor. Sie haben mir sehr geholfen«, log ich mit monotoner Stimme. Ehrlich gesagt, hatte ich gar kein großes Interesse daran, dass sie mir das abkaufte. Ich wollte nur höflich sein.
    Nach der Therapiesitzung musste ich weiter zu einer Autogrammstunde, also machte ich mich auf den Weg. Doch in dem Moment, als ich meinen Fuß auf den Bordstein setzte, ging die Panik sofort wieder los. Auf der Straße waren die Attacken immer am schlimmsten. Ich wartete nur darauf, einen Herzinfarkt zu bekommen. Oder einen Hirnschlag – was vermutlich ein angenehm schneller Tod gewesen wäre. Mit letzter Kraft schleppte ich mich in das Hotel, in dem die Autogrammstunde stattfinden sollte, und versuchte, das Ganze so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Ich lächelte professionell freundlich, während ich mit schwarzem Edding immer und immer wieder meinen Namen auf die Autogrammkarten kritzelte. Mit jeder Unterschrift schien sich das Porträt, mit dem sie bedruckt waren, ein Stückchen mehr in eine hässliche Teufelsfratze zu verwandeln. Ich konnte mich selbst kaum noch ertragen.
    Als ich mit dem Termin fertig war, zog ich mich in meine Suite im obersten Stockwerk des Hotels zurück. Ich checkte mein Erscheinungsbild im Spiegel – und erschrak. Dieses blasse Gespenst sollte tatsächlich ich sein? Ich beschloss, dass der Moment gekommen war, um mich mit den Schlaftabletten von Frau Dr. Uhlmann-Lubich wegzubomben. Zur Sicherheit nahm ich gleich zwei davon, doch sie zeigten keine Wirkung:
    Eine Dreiviertelstunde später lag ich immer noch hellwach auf meinem Bett und starrte an die Decke. Ich fühlte mich wie in einem Film, glaubte plötzlich nicht mehr, was ich sah. Alles wurde irreal. Ich hörte Stimmen. Irgendein fremdes Gelaber. Wahrscheinlich hatte ich Halluzinationen vom Schlafentzug. Ich begann, gleichmäßig vor mich hinzubrabbeln, damit ich die Stimmen der anderen loswurde. Warum zur Hölle wirkten diese beschissenen Schlaftabletten denn nicht endlich? Ungeduldig griff ich zum Telefon und rief die Uhlmann-Lubich an.
    »Ihre Scheißtabletten wirken nicht. Dabei hab ich schon zwei Stück eingeworfen«, maulte ich. Ihre Stimme überschlug sich hysterisch: »Bist du wahnsinnig? Das ist eine Überdosis! Ich hab dir doch gesagt, du sollst erst mal nur eine halbe einnehmen! Wenn du zu viele davon schluckst, kann es sein, dass du gar nicht mehr aufwachst!« »Na, das wäre ja was«, dachte ich laut. Jeder Zustand, der nichts mit Schlaflosigkeit zu tun hatte, erschien mir in dem Moment eine Erleichterung. Die Uhlmann-Lubich fand das gar nicht witzig, aber ich bekam trotzdem einen Lachkrampf. Ich kicherte ins Telefon wie ein Irrer. Es war mir in diesem Moment egal, ob ich es mir mit meiner guten alten Therapeutin verscherzte.

Weitere Kostenlose Bücher