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Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Titel: Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Modiano
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Mal in meinem Leben. Eines Tages bin ich im Morgengrauen aus dem Canter entwischt, wo ich mit Jeannette saß. Wir warteten auf Accad und Mario Bay, die uns mitnehmen wollten nach Cabassud, zusammen mit Godinger und noch einem anderen Mädchen. Ich erstickte. Ich habe eine Ausrede erfunden, um an die frische Luft zu gehen. Dann bin ich losgerannt. Auf dem Platz waren alle Leuchtreklamen erloschen, selbst die vom Moulin-Rouge. Ich ließ mich von einem Rausch überwältigen, den Alkohol oder Schnee mir niemals verschafft hätten. Ich hastete die Steigung hinauf bis zum Château des Brouillards. Ich war fest entschlossen, die Bande aus dem Canter nie mehr wiederzusehen. Später habe ich den gleichen Rausch immer dann verspürt, wenn ich die Brücken zu jemandem abbrach. Ich war nur dann wirklich ich selbst, wenn ich ausriss. Meine einzigen guten Erinnerungen sind Erinnerungen an Flucht und Weglaufen. Aber das Leben gewann immer wieder die Oberhand. Als ich die Allée des Brouillards erreichte, war ich überzeugt, dass irgendwer mich zu einem Treffen hierher bestellt hatte und mir ein neuer Anfang winkte. Es gibt eine Straße, ein Stück weiter oben, in die ich eines Tages gern zurückkehren würde. An jenem Morgen folgte ich ihr. Hier sollte das Treffen stattfinden. Aber ich kannte die Hausnummer nicht. Unwichtig. Ich wartete auf ein Zeichen, das sie mir sagen würde. Ganz hinten führte die Straße in den offenen Himmel, als ende sie am Rand eines Felsens. Ich schritt voran mit jenem Eindruck der Leichtigkeit, der einen manchmal in Träumen erfasst. Du fürchtest nichts mehr, alle Gefahren sind lächerlich. Wenn die Sache wirklich eine schlechte Wendung nimmt, brauchst du nur aufzuwachen. Du bist unbesiegbar. Ich ging weiter, ungeduldig, endlich ans Ziel zu kommen, dahin, wo nur noch das Blau des Himmels war und die Leere. Welches Wort könnte meine Verfassung beschreiben? Ich verfüge bloß über einen sehr bescheidenen Wortschatz. Rausch? Ekstase? Verzückung? Auf jeden Fall war mir diese Straße vertraut. Mir schien, dass ich ihr schon früher gefolgt war. Bald würde ich den Rand des Felsens erreichen und mich ins Leere stürzen. Was für ein Glück, in der Luft zu schweben und endlich jenes Gefühl der Schwerelosigkeit zu verspüren, nach dem ich schon immer gesucht habe. Ich erinnere mich mit so großer Klarheit an diesen Morgen, an diese Straße und an den Himmel ganz am Ende …
    Und dann ist das Leben weitergegangen, mit seinen Höhen und Tiefen. An einem trübseligen Tag habe ich auf dem Einband eines Buches, das Guy de Vere mir geliehen hatte: Louise du Néant , mit Kugelschreiber den Vornamen durch meinen eigenen ersetzt: Jacqueline du Néant , Jacqueline aus dem Nichts.

An jenem Abend war es, als würden wir Tische rücken. Wir saßen alle im Büro von Guy de Vere beisammen, und er hatte die Lampe ausgeknipst. Oder vielleicht war es auch nur ein Stromausfall. Wir hörten seine Stimme im Dunkel. Er trug uns einen Text vor, den er sonst gelesen hätte, bei Licht. Nein, ich bin ungerecht, Guy de Vere wäre empört gewesen, hätte er mich mit Bezug auf seine Person von »Tischrücken« reden gehört. Das wird ihm nicht gerecht. Er hätte in leicht vorwurfsvollem Ton zu mir gesagt: »Ich bitte Sie, Roland …«
    Er hat die Kerzen eines Kandelabers entzündet, der auf dem Kamin stand, und sich dann wieder hinter seinen Schreibtisch gesetzt. Wir hockten ihm gegenüber, dieses Mädchen, ich und ein Paar so um die Vierzig, beide sehr gepflegt und von bourgeoisem Äußeren, das ich hier zum ersten Mal sah.
    Ich habe den Kopf zu ihr gedreht, und unsere Blicke begegneten sich. Guy de Vere sprach immer noch, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, aber sehr natürlich, fast im Ton einer normalen Unterhaltung. Bei jedem Treffen las er einen Text, den er uns hinterher in hektographierten Exemplaren anvertraute. Das Exemplar jenes Abends habe ich aufbewahrt. Ich hatte einen Bezugspunkt. Sie hatte mir ihre Telefonnummer gegeben, und ich hatte sie unten auf dem Blatt notiert, mit rotem Kugelschreiber.
    »Die höchste Konzentration erreicht man liegend, mit geschlossenen Augen. Bei der kleinsten Einwirkung von außen beginnen Ablenkung und Zerstreuung. Im Stehen entziehen einem die Beine einen Teil der Kraft. Offene Augen verringern die Konzentration …«
    Nur mühsam konnte ich einen Lachanfall unterdrücken, und ich erinnere mich umso besser daran, als mir dergleichen noch nie passiert war. Aber das Kerzenlicht verlieh

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