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Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Titel: Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Modiano
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ich kurze Panikattacken oder vielmehr »Blutdruckschwankungen«, wie der Apotheker an der Place Blanche eines Abends gesagt hatte, als ich ihm zu erklären versuchte, was ich empfand. Doch jedesmal, wenn ich ein Wort aussprach, schien es mir falsch oder nichtssagend. Es war besser zu schweigen. Ein Gefühl von Leere erfasste mich auf der Straße, ganz plötzlich. Das erste Mal passierte es vor dem Tabakladen, gleich nach dem Cyrano. Viele Menschen kamen vorüber, aber das beruhigte mich nicht. Ich würde umkippen, und sie würden geradeaus weitergehen und mir nicht die geringste Beachtung schenken. Blutdruckschwankungen. Spannungsabfall. Stromausfall. Ich musste mich zusammenreißen und die Drähte wieder miteinander verbinden. An jenem Abend war ich in den Tabakladen getreten und hatte Briefmarken verlangt, Postkarten, einen Kugelschreiber und ein Päckchen Zigaretten. Ich hatte mich an den Tresen gesetzt. Ich hatte eine Postkarte genommen und zu schreiben begonnen. »Noch ein bisschen Geduld. Ich glaube, das wird schon.« Ich hatte mir eine Zigarette angesteckt und eine Briefmarke auf die Karte geklebt. Doch an wen sollte ich sie adressieren? Ich hätte gern auf jede Postkarte ein paar Worte geschrieben, beruhigende Worte: »Das Wetter ist schön, ich verbringe wunderbare Ferien, ich hoffe, Euch geht es ebenfalls gut. Bis bald. Ich umarme Euch.« Ich sitze frühmorgens auf einer Caféterrasse am Meer. Und ich schreibe Postkarten an Freunde.
    »Wie fühlst du dich? Geht’s dir besser?« fragte Jeannette. Ihr Gesicht war dem meinen noch näher.
    »Willst du raus, zum Luftschnappen?«
    Nie zuvor war mir die Straße so still und verlassen erschienen. Laternen aus einer anderen Zeit erleuchteten sie. Und dabei genügte es schon, die Steigung hinaufzugehen, um ein paar hundert Meter weiter auf die Menschenmassen der Samstagabende zu stoßen, auf die Leuchtreklamen, die »Die schönsten Nackten der Welt« versprachen, und auf die Touristenbusse vor dem Moulin-Rouge … Ich hatte Angst vor diesem ganzen Trubel. Ich sagte zu Jeannette:
    »Vielleicht könnten wir auf halber Höhe bleiben …«
    Wir sind bis zu der Stelle gelaufen, wo die Lichter anfingen, bis zur Kreuzung am Ende der Rue Notre-Dame-de-Lorette. Aber wir sind wieder umgekehrt und dem Straßengefälle hinab gefolgt. Ich fühlte mich Schritt für Schritt leichter, je weiter ich dieses Gefälle hinunterkam, auf der Schattenseite. Es genügte, sich treiben zu lassen. Jeannette hielt meinen Arm. Wir waren beinahe am Fuß der Steigung angekommen, an der Ecke Rue de la Tour-des-Dames. Sie hat gesagt:
    »Was meinst du, sollen wir nicht ein bisschen Schnee nehmen?«
    Ich habe den Sinn dieses Satzes nicht ganz verstanden, aber das Wort »Schnee« verblüffte mich. Ich hatte das Gefühl, gleich würde er zu fallen beginnen und die Stille um uns herum noch verdichten. Zu hören wäre dann nur mehr das Knirschen unserer Schritte im Schnee. Irgendwo schlug eine Uhr, und ich weiß nicht warum, ich dachte, sie verkünde die Mitternachtsmesse. Jeannette führte mich. Ich ließ mich fortziehen. Wir kamen durch die Rue d’Aumale, in der alle Häuser finster waren. Man hätte meinen können, sie bildeten eine einzige schwarze Fassade auf jeder Seite und von einem Straßenende zum andern.
    »Komm in mein Zimmer … wir nehmen ein bisschen Schnee …«
    Sobald wir da wären, wollte ich sie fragen, was das heißen sollte: ein bisschen Schnee nehmen. Es war kalt wegen dieser schwarzen Fassaden. Befand ich mich in einem Traum, weil ich das Echo unserer Schritte so deutlich hörte?
    Später bin ich oft den gleichen Weg gegangen, allein oder mit ihr. Ich besuchte sie tagsüber in ihrem Zimmer oder verbrachte die Nacht bei ihr, wenn wir zu lange im Canter geblieben waren. Es war in einem Hotel der Rue Laferrière, einer Straße mit starker Krümmung, wo man sich fern fühlt von allem, in der Zone der ersten Steigungen. Ein Fahrstuhl mit Gittertür. Er glitt langsam hinauf. Sie wohnte in der obersten Etage, oder noch höher. Vielleicht würde der Fahrstuhl nie anhalten. Sie flüsterte mir ins Ohr:
    »Du wirst sehen … das tut gut … wir nehmen ein bisschen Schnee …«
    Ihre Hände zitterten. Im Halbdunkel des Flurs war sie so nervös, dass sie den Schlüssel nicht ins Loch bekam.
    »Mach du … versuch’s … ich schaffe es nicht …«
    Ihre Stimme wurde immer abgehackter. Sie hatte den Schlüssel fallen lassen. Ich habe mich hinuntergebeugt, ihn tastend aufgehoben. Es gelang mir

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