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Im Dienst des Seelenfängers

Titel: Im Dienst des Seelenfängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Cook
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von einem Fuß auf den anderen. »Schon rausgefunden, was passiert ist?« fragte ich. I
»Eigentlich nicht. Die Katapultmannschaft konnte es nicht erklären. Irgendwie ist ihnen das Ding wohl weggerutscht. Vielleicht hattest du wirklich Glück.« Ihm war eingefallen, daß ich gesagt hatte, mich wollte jemand umbringen. Ich faßte an das Amulett, das Goblin mir gegeben hatte. »Vielleicht.«
    »Das mache ich sehr ungern«, sagte er. »Aber ich soll dich zu deinem Gespräch bringen.«
Angst. »Worum geht es?«
»Das wirst du wohl besser wissen als ich.« »Aber ich weiß es nicht.« Ich hatte einen weitläufigen Verdacht, aber den hatte ich ver- drängt.
Offenbar gab es zwei Türme, wobei einer den anderen umschloß. Der äußere war der Ver- waltungssitz des Reiches, in dem die Funktionäre der Lady hausten. Der innere Turm wirkte so einschüchternd auf sie wie die Außenkonstruktion auf uns, nahm ein Drittel des Innenrau- mes ein und konnte nur von einer Stelle aus betreten werden. Diese Gelegenheit wurde von nur wenigen wahrgenommen.
Wir kamen zum Eingang, und er stand offen. Wachen gab es nicht. Vermutlich waren sie auch nicht nötig. Ich hätte mich viel mehr fürchten sollen, aber ich war zu benebelt. Der Hauptmann sagte: »Ich warte hier auf dich.« Er hatte mich in einen Stuhl mit Rädern gesetzt, den er durch den Eingang rollte. Ich begab mich mit zusammengepreßten Augen und häm- merndem Herzen hinein.
Die Tür klappte mit einem dumpfen Laut zu. Der Stuhl rollte lange und bog dabei um meh- rere Ecken. Ich weiß nicht, wovon er angetrieben wurde. Ich wollte auch nicht nachsehen. Dann blieb er stehen. Die Neugier überwältigte mich. Ich schlug die Augen auf. In Ihrem Turm steht Sie und blickt nach Norden. Sie faltet Ihre zarten Hände. Sanft weht ei-
ne Brise in Ihr Fenster. Sie streicht durch Ihr mitternachtsseidiges Haar. Auf der sanften Nei-
gung Ihrer Wange funkeln diamantene Tränen.
Meine eigenen Worte kamen mir, ein Jahr, nachdem ich sie geschrieben hatte, wieder ins Gedächtnis. In der allerletzten Einzelheit war dies die Szene aus der damaligen Romanze. In Einzelheiten, die ich mir vorgestellt, jedoch nicht niedergeschrieben hatte. Als ob dieser phan- tastische Augenblick mir aus meinem Gehirn gerissen und hier mit dem Hauch des Lebens erfüllt worden sei.
Natürlich glaubte ich keine Sekunde lang daran. Ich befand mich mitten in den Tiefen des Turms. In diesem grimmigen Gebäude gab es keine Fenster. Sie wandte sich um. Und ich erblickte das, was alle Männer in ihren Träumen sehen. Voll- kommenheit. Sie mußte nicht sprechen, damit ich wußte, wie ihre Stimme klang, ihre Wort- rhythmen, die Atemlosigkeit zwischen den Sätzen. Sie mußte sich nicht rühren, damit ich ihre Gesten kennenlernte, die Art, wie sie sich bewegte, die sonderbare Angewohnheit, die Hand zur Kehle zu erheben, wenn sie lachte. Ich hatte sie seit Beginn meines Erwachsenendaseins gekannt.
Innerhalb von Sekunden begriff ich, was die alten Geschichten meinten, wenn sie von ihrer überwältigenden Präsenz sprachen. In ihrem heißen Wind mußte der Dominator selbst ge- schwankt haben.
Sie brachte mich zum Schwanken, aber sie fegte mich nicht von den Füßen. Obwohl meine eine Hälfte nach ihr hungerte, erinnerte sich die andere doch an meine Jahre in der Nähe von Goblin und Einauge. Bei Zauberei ist nichts so, wie es zu sein scheint. Vielleicht ganz hübsch, aber letztlich doch nur Zuckerwatte.
    Sie betrachtete mich ebenso aufmerksam, wie ich sie musterte. Schließlich sagte sie: »Und
so treffen wir uns wieder.« Die Stimme war alles, was ich erwartet hatte, und noch mehr. Auch Humor lag in ihr.
»In der Tat«, krächzte ich.
»Du fürchtest dich.«
»Natürlich.« Vielleicht hätte ein Narr es geleugnet. Vielleicht. »Du wurdest verletzt.« Sie glitt näher. Ich nickte; mein Herzschlag wurde schneller. »Ich hätte dich dem hier nicht ausgesetzt, wenn es nicht wichtig wäre.« Wieder nickte ich; ich zitterte so sehr, daß ich nicht sprechen konnte, und war vollkommen verdattert. Das hier war die Lady, die größte Schurkin aller Zeiten, der Gestalt gewordene Schatten selbst. Dies war die Schwarze Witwe im Netz der Finsternis, eine Halbgöttin des Bösen. Was konnte wichtig genug für jemanden wie sie sein, um jemanden wie mich zur Kenntnis zu nehmen?
Wieder hegte ich einen Verdacht, den ich vor mir selbst nicht eingestehen mochte. Die Au- genblicke, die ich in hochwichtigen Gesprächen mit Prominenten verbrachte, waren nicht

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