Im Dienst des Seelenfängers
wußte sofort, daß ich wieder
Zeit verloren hatte. Die Sterne waren weiter über den Himmel gezogen. Der Komet stand tief. Ruh dich aus? Die Stunden für die Ruhe waren beinahe vorbei. Draußen war es friedlich und kühl, und die Grillen zirpten. Grillen. Nicht zu glauben. Ich sah auf die Waffe, die sie mir gegeben hatte. Wann hatte ich sie gespannt? Warum hatte ich einen Pfeil aufgelegt? Mir fiel nicht mehr ein, wann ich sie vom Tisch genommen hatte… Einen angstvollen Augenblick lang glaubte ich, daß ich den Verstand verlor. Grillengesang brachte mich wieder zurück.
Ich sah zur Pyramide hinauf. Jemand stand dort oben Wache. Ich hob eine Hand. Er erwider- te den Gruß. Elmo, so wie er sich bewegte. Guter alter Elmo. Noch etwa zwei Stunden bis zur Morgendämmerung. Wenn ich nicht trödelte, konnte ich noch ein wenig Augenpflege betreiben.
Als ich die Rampe zu einem Viertel hinaufgeklettert war, überkam mich ein komisches Ge- fühl. Auf halbem Wege begriff ich, was es war. Einauges Amulett! Mein Handgelenk brann- te… Unterworfene! Gefahr!
Eine Wolke aus Finsternis erhob sich aus einer Unregelmäßigkeit an der Seite der Pyramide aus der Nacht. Sie breitete sich wie ein Schiffssegel aus, verflachte sich und kam auf mich zu. Ich reagierte auf die einzige Weise, die mir zu Gebote stand. Mit einem Pfeil. Mein Geschoß fetzte durch dieses Laken aus Finsternis hindurch. Und ein langgezogenes Aufheulen ertönte um mich herum, doch es verriet mehr Überraschung als Wut, mehr Ver- zweiflung als Todespein. Das finstere Laken zersetzte sich. Eine menschenähnliche Gestalt hastete den Hang hinab. Ich sah ihr hinterher, als sie davonlief, und dachte keinen Augenblick daran, ihr einen weiteren Pfeil hinterherzuschicken, obwohl ich einen auf den Bogen auflegte. Völlig durcheinander setzte ich meinen Aufstieg fort. »Was ist passiert?« fragte Elmo, als ich oben ankam. »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Ganz ehrlich, ich habe nicht die leiseste Ahnung, was zur Hölle heute nacht eigentlich passiert ist.« Er musterte mich kurz. »Siehst ziemlich angeschossen aus. Hau dich noch ein bißchen aufs Ohr.«
»Das brauche ich auch«, gab ich zu. »Sag es dem Hauptmann. Sie sagt, daß morgen der ent- scheidende Tag ist. Alles oder nichts.« Die Nachricht konnte ihm kaum etwas nützen. Aber ich dachte mir, daß er es gern wissen wollte. »Jau. Hat man mit dir da drin irgendwas angestellt?« »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.«
Trotz seiner Ermahnungen zur Bettruhe wollte er sich noch weiter unterhalten. Ich stieß ihn sanft zurück, ging zu einem meiner Lazarettzelte und rollte mich in einer entlegenen Ecke wie ein verwundetes Tier in seiner Höhle zusammen. Irgendwie war ich im Innersten berührt worden, auch wenn ich das Gefühl nicht benennen konnte. Ich brauchte Zeit, um mich davon zu erholen. Wahrscheinlich mehr Zeit, als man mir zugestehen würde.
Man schickte Goblin los, daß er mich wecken sollte. Ich war ganz mein charmantes Morgen- Selbst und drohte jedem Blutrache an, der blöd genug war, mich in meinen Träumen zu stö- ren. Nicht daß sie die Störungen nicht verdienten. Sie waren ekelhaft. Ich tat unaussprechliche Dinge mit Mädchen, die kaum älter als zwölf waren. Die Schatten, die im Verstand umherhu- schen, sind widerlich.
So abstoßend meine Träume auch waren, wollte ich doch nicht aufstehen. Mein Schlafsack war gemütlich warm.
Goblin sagte. »Du willst doch wohl nicht, daß ich böse werde, oder? Croaker, hör zu. Deine Freundin kommt gerade raus. Der Hauptmann will, daß du dich mit ihr triffst.« »Ja. Na sicher.« Mit der einen Hand langte ich nach meinen Stiefeln, mit der anderen Hand schlug ich die Zeltklappe auf. Ich knurrte: »Verdammt nochmal, wie spät ist es? Die Sonne steht wohl schon seit Stunden am Himmel.« »Ganz genau. Elmo meinte, daß du die Ruhe nötig hattest. Er sagte, daß du eine harte Nacht gehabt hast.«
Ich grunzte und suchte hastig meine Sachen zusammen. Ich dachte kurz über Morgenwäsche nach, aber Goblin fing mich ab. »Pack dir deine Kampfausrüstung über. Die Rebellen mar- schieren hierher.«
Ich hörte Trommeln aus der Ferne. Vorher hatten die Rebellen keine Trommeln benutzt. Ich erkundigte mich.
Goblin zuckte die Achseln. Er sah etwas blaß um die Kiemen aus. Vermutlich hatte er meine Nachricht an den Hauptmann mitgehört. Alles oder nichts. Heute. »Sie haben einen neuen Rat gewählt.« Er begann loszuplappern, wie Männer es eben tun, wenn sie Angst haben, und er-
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