Im Dienste Der Koenigin
gleichsam Morgenluft und hofften darauf, ihre überkommenen Privilegien zurückzuerobern.
Seit fünf Uhr früh tagte das Parlament. Noch war es guter Brauch, dass sich alle Franzosen samt ihren Königen beim ersten Hahnenschrei aus dem Bett erhoben. Das sollte sich erst später ändern, als der Hof dazu überging, die Nächte durchzufeiern und durchzutanzen, um erst am späten Vormittag aus den Federn zu kriechen …
Um halb zehn erschien die zweiundvierzigjährige Königin Anna mit ihrem ältesten Sohn und ihrem Gefolge. Sie trug ein tiefschwarzes Trauergewand, das ihr ausgezeichnet stand, während der kleine König in einen lilafarbenen Samtanzug mit weißem Spitzenkragen und ebensolchen Manschetten gekleidet war. Jeder konnte erkennen, wie ähnlich sich der Junge und seine schöne Mutter waren: das gleiche blonde, lockige Haar, die gleichen blauen Augen und eine zarte, weiße Haut.
Nur Céleste hatte der Kleine seine Ängste anvertraut, die mit dieser ersten öffentlichen Präsentation seiner Person verbunden waren.
»Die Leute werden über mich lachen, wenn ich die Worte, die ich sagen muss, vergessen habe, oder wenn ich zu stottern anfange«, hatte er, ganz blass im Gesicht vor Aufregung, zu
seiner Kinderfrau gesagt. Aber die hatte es verstanden, ihn zu beruhigen.
»Ihr braucht keine Angst zu haben, Majestät. Hinter dem Thron befindet sich ein Vorhang, wo nicht nur Wachsoldaten stehen, die Euch und Eure Mama beschützen, sondern auch ich.
Und ich habe den Text aufgeschrieben; falls Ihr stecken bleiben solltet, werde ich Euch einsagen können, ohne dass jemand etwas merkt. Das ist so ähnlich wie im Theater, wo auch ein Souffleur dazu da ist, den Schauspielern, die ihren Text nicht mehr wissen, zu helfen.«
Da hatte Ludwig über sein ganzes hübsches Kindergesicht gestrahlt und vergnügt ausgerufen: »Dafür sollt Ihr nachher eine ganz besondere Belohnung erhalten. Außerdem verlange ich, dass Ihr immer bei mir bleibt, Madame Céleste. Ich bin sicher, Ihr seid so klug, dass Ihr mir auch das Lesen und Schreiben beibringen könnt.«
»Aber gewiss, Majestät«, hatte Céleste daraufhin leise erwidert. »Wenn man mich lässt, werde ich das sehr gerne tun.«
Anna hob den kindlichen König auf den Thron und nahm zu seiner Rechten auf einem erhöhten Lehnstuhl Platz, zum Zeichen, dass ihr die Regentschaft oblag, solange die Minderjährigkeit des eigentlichen Herrschers währte. Endlich durfte Ludwig die wenigen Worte, die man vorher mit ihm eingeübt hatte, sagen:
»Ich bin gekommen, um dem Parlament meinen guten Willen zu bezeugen«, ertönte hell die Kinderstimme; sie war bis in den letzten Winkel des Raumes zu vernehmen. Ludwig XIV. blieb auch keineswegs stecken - die Unterstützung seiner Kinderfrau, die sich als Souffleuse angeboten hatte, war nicht vonnöten.
Dann hielt mit totenblassem Gesicht Königin Anna eine kurze Rede, worin sie alle Anwesenden bat, ihr und dem jungen König treu zur Seite zu stehen. Das Parlament ernannte sie daraufhin einstimmig zur Regentin und bestätigte ihr somit das Recht, Minister und Berater nach ihrem Willen zu benennen.
KAPITEL 54
ANNA VERBRACHTE DIE Nacht im Gebet. Inbrünstig betete sie für die unsterbliche Seele ihres Gemahls, dass Gott ihn für seine zahlreichen Sünden und die schlechte Behandlung seiner Ehefrau nicht bestrafen, sondern im Gegenteil nur auf seine guten Taten schauen möge - immerhin war er seinen beiden Söhnen kein schlechter Vater gewesen.
Darüber hinaus flehte sie den Herrn an, ihr die nötige Stärke und die geeigneten Berater für ihre schwere Aufgabe zu verleihen. Zum Schluss gelangte sie zu ihrem größten Anliegen:
»Herr, lass meine liebe Freundin Marie heil und gesund nach Frankreich heimkehren!«
Anna konnte es kaum erwarten, das kehlige Lachen der lebhaften Herzogin wieder in den Gängen des Palastes erklingen zu hören.
Am Morgen berief sie den von Richelieu empfohlenen italienischen Kardinal Giulio Mazarini in den Kronrat und ernannte ihn zum Vorsitzenden. Der charmante und gut aussehende,
geistvolle Mann mit exzellenten Umgangsformen ähnelte in der Tat sehr stark dem ermordeten George Villiers, Lord of Buckingham. Anna lief es eiskalt über den Rücken, als sie dem »Doppelgänger« des Verstorbenen ganz nahe gegenüberstand. Doch sie ließ sich nichts anmerken.
Nach dem Tode König Ludwigs XIII. hatten alle führenden Köpfe in Europa ganz selbstverständlich von der Königinmutter Anna die Beendigung der
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