Im Dienste Der Koenigin
ihre Sorge um die Schwester gestanden hatte. Anschließend war sie erleichtert, denn sie besaß nun die Gewissheit, dass der Herr über die Gaunerwelt von Paris ihr zuliebe alles unternähme, um Marie zu helfen.
Saint-Hector und seine Untertanen hatten es ihr seinerzeit hoch angerechnet, dass sie großmütig auf die offizielle Ernennung zur »Königin der Gaukler und Bettler« verzichtet hatte - obwohl ihr dieser Rang zustünde. Sie hatte jedoch unter keinen Umständen die alte Arlette aus ihrer gewohnten Rolle verdrängen wollen. Solange die Zwergin lebte, sollte sie nach Célestes Willen die alleinige »Königin« sein.
Bei ihrem nächsten Besuch im »Hof der Wunder« hatte Saint-Hector ihr einen kleinen, mageren Mann mittleren Alters vorgestellt, einen Arzt, der aus einer seit Generationen christlichen Familie stammte, deren Wurzeln jedoch ursprünglich jüdisch waren. Er war vor der immer noch andauernden Inquisition aus Spanien geflohen und hatte beim »König der Bettler« Zuflucht gesucht - und gefunden.
Zum Dank behandelte Don Raimondo di Morales-Zuñiga aus Còrdoba die kranken und verletzten Spitzbuben, Huren und Gauner umsonst. Der schwarzgraugelockte Medicus ließ sich von Céleste die Symptome ihrer Schwester ganz genau beschreiben.
»Ich denke, Eure Verwandte hat zu viel von einer natürlichen Substanz im Blut, die, falls im Übermaß vorhanden, mannigfachen Schaden anrichten kann«, sagte er anschließend.
Sowohl der Bettlerkönig wie Céleste fielen aus allen Wolken. Und diese harmlose Substanz - keineswegs ein gefährliches Gift - sollte so gravierende Veränderungen hervorrufen? Céleste hatte dem spanischen Arzt auch nicht verhehlt, dass Marie neuerdings über eine zunehmende Sehschwäche klagte und dass selbst kleinste Verletzungen ihrer Haut einfach nicht mehr heilen wollten.
»Alles rührt von einem Ungleichgewicht in ihrem Blut her, Madame, bitte glaubt mir! Ich persönlich weiß - bitte, lacht jetzt nicht, Madame -, dass diese natürliche Substanz Zucker ist. Selbst ihre seelischgeistigen Veränderungen könnten durch einen schädlichen Überschuss davon verursacht werden.
Bedenkt, Madame: Das Blut durchströmt auch das Gehirn eines Menschen und wenn dieses Blut durch einen schädlichen Stoff gewissermaßen verunreinigt ist, vermag dies den
Geist in gewisser Weise zu stören und zu verwirren. Wenn Ihr mir vertrauen wollt, kann ich Euch versprechen, dass ich Eure Schwester heilen kann, gesetzt den Fall, sie leistet meinen Anordnungen Folge.«
Céleste glaubte dem kleinen Mann mit der dunkel getönten Haut aufs Wort. Sie selbst hatte schon des Öfteren das Gefühl gehabt, Marie wäre nicht mehr ganz bei Sinnen. Jetzt lautete das Problem nur: Wie sollte sie ihre Schwester überzeugen? Und vor allem: Wo sollte die Heilkur stattfinden? Alles hing davon ab, ob man Marie dazu überreden konnte, sich in die Hände dieses Arztes zu begeben.
Zu ihrer großen Überraschung war Marie jedoch sofort bereit, sich behandeln zu lassen. Die Herzogin de Chevreuse fühlte sich schon lange nicht mehr wohl in ihrer Haut, und die Veränderungen, die ihr innerhalb von drei Jahren widerfahren waren, verstand sie selbst nicht mehr.
»Ich sehe doch, wie sehr ich mich seit einiger Zeit zu meinem Nachteil verändert habe, ma Chère. Ich mag kaum noch in den Spiegel schauen. Im Gesicht und am ganzen Körper all das überschüssige Fett! Ich ekle mich nicht selten vor mir selbst.
Ja, ich hasse mich regelrecht. Und weil ich darüber so unglücklich bin, muss ich Süßes in mich hineinstopfen, bis mir schlecht wird. Ich weiß selbst, dass alles davon nur noch schlimmer wird, aber ich kann nicht anders! Und das macht mich wiederum wütend und unleidlich. Ich verhalte mich unfreundlich ausgerechnet den Menschen gegenüber, die ich am liebsten habe. Das ist doch verrückt!«
Céleste war äußerst erleichtert über Maries Reaktion; nun war nur noch die Frage des Ortes zu klären.
Eine Behandlung in ihrem Palais schien nicht geraten. Und ständig zwischen ihrem Wohnsitz und dem »Cour des Miracles«
hin- und herzufahren, war kaum zu bewerkstelligen, vor allem nicht unauffällig.
Don Raimondo wiederum verließ höchst selten - und immer nur bei Nacht - den »Hof der Wunder«.
Monsieur Saint-Hector fand schließlich die für alle einfachste Lösung: »Mein ›Hof der Wunder‹ ist das beste und sicherste Versteck für deine Schwester«, hatte der schlaue Bettlerkönig und Herr über sämtliche
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