Im Dunkel der Nacht (German Edition)
noch ins Bett gegangen, am nächsten Morgen aber verschwunden. Das Schulpersonal hatte ihn einige Stunden gesucht, ehe sie es meldeten.
Er streckte sich. Er hatte nicht gerade erholsam geschlafen. Alles an diesem Fall nervte ihn. Von der Tatsache, dass dieses Kind zwanzig Jahre lang tot war und es niemand bemerkt hatte, bis hin zum Effekt, den Veronica Osborne auf ihn hatte, wenn sie nur in seiner Nähe war.
Und dann waren da noch die Parallelen zu seinem eigenen Leben. Was wäre gewesen, wenn sich die Dinge für ihn anders entwickelt hätten? Was wäre gewesen, wenn seine Mutter sich mit einem Arschloch von Alkoholiker verheiratet hätte, der ihn aus dem Weg hätte haben wollen? An Max Sheldens Überresten hing für Zach mehr als nur ihr zufälliges Auftauchen. Und er wollte diese Parallelen nicht ausloten.
Er nahm den Hörer ab und rief Lam an. »Ist das Fax angekommen?«, fragte sie, nachdem er sie endlich am Apparat hatte.
»Ich sehe es mir gerade an.« Zumindest das, was es hergab.
»Viel kann ich nicht dazu sagen. Das war lange vor meiner Zeit.«
Es war auch lange vor seiner Zeit. Wie alt mochte er gewesen sein? Neun? Zehn? Damals, in seiner noch perfekten Welt. Gut, er hatte unentwegt über seine Lehrerin Miss Reeves gejammert. Sie hatte Zach nicht leiden können, was er ihr bei jeder nur denkbaren Gelegenheit vergalt. Und doch war sein Leben so ziemlich perfekt gewesen. Er hatte eine Mutter und einen Vater, drei ältere Schwestern, die ihn vergötterten, und ein Dach über dem Kopf. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie gut er es hatte.
Jetzt wusste er es, und er versuchte, regelmäßig dafür dankbar zu sein.
Zach lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Anzeige. »Ja, das habe ich mir schon gedacht. Ist der Beamte, der den Fall aufgenommen hat, Ray Stoffels, noch im Dienst?«
»Ja, ist er. Wollen Sie ihn sprechen?«
»Gerne.« Es war wie ein Griff nach jedem Strohhalm, aber man konnte nie wissen. Vieles passierte, ohne je den Weg in einen polizeilichen Bericht zu finden. Die Chancen, dass sich Ray Stoffels an den betreffenden Fall und den betreffenden Jungen erinnerte, waren sehr gering, aber den Versuch war es wert. »Wie ist dieser Stoffels so?«
»Ray? Er ist in Ordnung. Kaut einem zwar das Ohr ab, aber ein netter Kerl.« Lam ließ ihre Kaugummiblase platzen.
Das klang wie die meisten älteren Polizisten, die Zach kannte. Sie liebten nichts so sehr, wie von ihren Heldentaten zu erzählen, und Stoffels war hoffentlich ähnlich gestrickt.
»Können Sie mir seine Nummer geben?«
»Ich gebe ihm lieber Ihre. Dann kann er Sie anrufen, wenn ihm danach ist. Ich gebe nicht gerne persönliche Daten heraus, ohne dass die betreffenden Leute zustimmen.«
Zach rang einen Anflug von Frustration nieder. Er war ein Polizist auf der Suche nach Informationen, kein Hausierer, der Abonnements verkaufen wollte. Sich mit Lam zu streiten würde aber nichts bringen. Er gab ihr seine Nummer und legte auf.
»Gibt es was Neues von Dinsmore?«, fragte er Frank.
Frank blätterte durch sein Notizbuch. »Nicht wirklich.«
Zach fuhr sich über das Gesicht. »Hast du was über die Schule herausgefunden?«
Frank schüttelte den Kopf.
»Uns gehen langsam die Anhaltspunkte aus, Frank.« Sie mussten mehr Spuren finden. »Ich hoffe noch immer, dass den Jungen jemand gesehen hat, als er zurückkam.«
»Ja, aber wer? Sein Trainer hat ihn nicht gesehen. Der Stiefvater. Die Schwester. Wir könnten noch mit seinen ehemaligen Mitschülern von der Highschool reden, aber die waren damals auch Kinder.«
»Lass es uns heute Abend versuchen.«
»Abgemacht.«
Lyle Burton starrte auf die Ausgabe des
Sacramento Chronicle
, die auf seinem Schreibtisch lag. Susan Tennant war tot. Vergangene Nacht in ihrem Haus ermordet.
Eine Perle kalten Schweißes lief seinen Rücken hinunter. Vielleicht war es nur ein seltsamer Zufall. Eine alleinlebende Frau war immer ein Ziel für Perverse und Vergewaltiger. Dann war da noch diese Krankenschwesternsache – viele Kerle hatten eine Schwäche für Krankenschwestern. Die Sexshops waren voll mit aufreizender Schwesterntracht.
Lyle konnte es verstehen. Er erinnerte sich sehr gut daran, wie Susan früher in ihrer weißen Arbeitsuniform ausgesehen hatte. Jemand hatte sich vielleicht in sie vernarrt und war ihr nach Hause gefolgt. Vielleicht hatte sie jemand beobachtet und gewartet, bis sie nach Hause kam.
Langsam und vorsichtig faltete er die Zeitung zusammen. Im Moment konnte er nichts daran ändern.
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