Im Dunkel der Nacht (German Edition)
rang sich Veronica dazu durch, den Weg zur Haustüre auf sich zu nehmen. Sie machte sich lächerlich. Bestimmt würden sie ihr helfen wollen herauszufinden, was Max zugestoßen war. Sie hatten sich auch um ihn Sorgen gemacht. Jimmy Delacroix wollte bei ihnen nach dem Rechten sehen, als Max verschwunden war. Veronica erschauderte, als sie daran dachte, wie ihr Vater ihn »begrüßt« hatte. Das war kein schönes Spektakel gewesen.
Doch sie hatte nichts damit zu tun, und die Sache lag bereits lange Zeit zurück. Vielleicht erinnerte er sich auch gar nicht mehr daran. Sie stieg aus ihrem Honda, ging über den Bürgersteig zur Vordertür und klingelte.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Tür geöffnet wurde, dabei waren es vermutlich nur Sekunden. Jimmy hatte auf die Türglocke geachtet. Er erwartete vermutlich noch mehr Gäste und wollte diese nicht warten lassen. Er war schon als Teenager bedachter und vernünftiger gewesen als die meisten in seinem Alter. Und Veronicas Erfahrung nach veränderten sich Menschen nur wenig.
»Hi«, sagte sie und sah in Jimmys Gesicht. »Ich bin Veronica Osborne, Max’ Schwester.«
Die Erinnerung huschte über sein Gesicht. »Ronnie Osborne«, sagte er. »Max’ kleiner Schokostreusel.«
Der Spitzname ließ sie rot werden. Max hatte immer gesagt, ihre Sommersprossen würden ihn an die Schokostückchen auf einer Erdbeer-Stracciatella-Torte erinnern, die er so gerne aß. Sie hatte es gemocht, wenn er sie so nannte, denn es gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit. Sie hatte diesen Namen seit Jahren nicht mehr gehört.
»Dürfte ich Ihnen wohl einige Fragen über meinen Bruder stellen?« Sie sprach nicht sehr laut, aber irgendetwas an Jimmys Haltung musste die Aufmerksamkeit der anderen Männer im Haus geweckt haben. Die Gespräche kamen zum Erliegen, und die Augen richteten sich auf die Tür.
Veronica erkannte vier der Männer. Einige andere sahen auch vertraut aus, doch nur vier hatten sich so wenig verändert, dass sie sie zweifelsfrei wiedererkannte. Neben Jimmy waren das Caleb Herbert, Pernell Moore und Justin Tran.
Jimmy verschränkte die Arme. »Sie wollen mir Fragen über Max stellen?«
»Wenn es nicht ungelegen kommt.« Sie fühlte sich unwohl und tastete sich nur langsam voran.
»Wer ist es denn?«, rief Justin aus dem Inneren des Hauses und kam auf die Tür zu.
»Ronnie Osborne.« Jimmy bewegte sich keinen Zentimeter.
»Max’ Schwester? Was macht sie hier?« Justin trat neben Jimmy. Auch Caleb kam näher.
»Ich weiß nicht, ob Sie es gehört haben«, sie stolperte fast über die eigenen Worte. »Man hat Max gefunden. Sie haben seine … seine Überreste gefunden.«
Warum war es so schwer, es auszusprechen? Sie war tagtäglich mit dem Tod konfrontiert. Sie bekämpfte ihn tagtäglich. Es war ein Kampf, den sie letztlich immer verlieren würde, doch sie focht jede Schlacht so, als könne es etwas ändern.
Es war zu spät, noch etwas für Max zu ändern, doch sie musste etwas tun. Sie konnte nicht einfach dasitzen und zusehen, wie die Polizei ihren Vater überrollte. Vielleicht, nur vielleicht war Max zu einem seiner Freunde gekommen, nachdem er von der Sierra School weggelaufen war. Falls es so war, würde Zachary McKnight endlich damit anfangen müssen, die tatsächlichen Geschehnisse zu untersuchen.
Und mit etwas Glück würde ihr Herz dann endlich aufhören, Luftsprünge zu machen, wenn er in ihrer Nähe war. Das wäre auch schön.
»Wäre schwer gewesen, es zu überhören, Ronnie«, sagte Jimmy. »Es war in allen Nachrichten.«
»Hat einer von Ihnen Max gesehen, nachdem er weggeschickt wurde?«
»Weggeschickt?« Caleb trat einen Schritt nach vorne. »Wir haben das etwas anders in Erinnerung. Wie man hört, hat ihn ein Schlägertrupp mitten in der Nacht aus dem Haus gezerrt, während er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte und um Gnade flehte.«
Justin kam nun einen Schritt aus dem Haus. »Angeblich nur, weil Ihr Vater herausgefunden hatte, dass Max Gras raucht.«
Ronnie blickte zu Boden. Was hatten sie in ihrem Gesicht gesehen? Hatten sie ihre Scham und ihre Schuldgefühle gesehen? Wie hätten sie es übersehen sollen? Sie fuhr fort. »Hat Max bei einem von Ihnen nach Hilfe gesucht? Ich habe gehofft, dass Sie ihn vielleicht gesehen haben und eine Idee hätten, wo er hin ist, nachdem er weggelaufen war. Dann hätte die Polizei endlich ihren Anhaltspunkt. Dann könnten sie womöglich herausfinden, was ihm zugestoßen ist.«
Pernell zog die
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