Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
Vom Netzwerk:
später.«
    Â»Aber in den anderen Fällen …«
    Â»Ich weiß, was du sagen willst. Möglicherweise hat seine Verspätung nichts zu bedeuten. Ich will nicht aufgeben. Ich will ihn erwischen und zur Rede stellen. Wenn ich nicht so müde und durchgefroren wäre, säße ich jetzt noch dort. Zum Glück hat Buschert, der Gärtner, mich abgelöst und mir hoch und heilig versprochen, weiter aufzupassen. Wenn er kommt, dann kriegen wir ihn.«

Achtundzwanzig
    Frank Buschert hob seinen Becher an die Lippen und sah ihr nach. Verdammt temperamentvolle Frau. Vermutlich hätte sie gerade am liebsten einen Grabstein zertrümmert vor Wut, weil der ominöse Kerl mit der Schnapsflasche nicht gekommen war.
    Er konnte ihre Enttäuschung verstehen. Erst hatte sie den Zirkus mit der Flasche jahrelang ignoriert, dann hatte sie sich, was er wiederum völlig übertrieben fand, nächtens auf die Lauer gelegt, und nun war der Kerl nicht gekommen.
    Wahrscheinlich hatte sie ihn mit ihrer Aktion vertrieben.
    Vielleicht war es auch schlicht und einfach vorbei.
    Was ihm am allerliebsten wäre.
    Jedes Jahr diese Flasche, das war wie eine Heimsuchung. Auch noch Blutwurz. Den hatte er früher wie Wasser hinuntergegossen und dabei dem leichten Kratzen in der Kehle und der wohligen Wärme nachgespürt, die sich im Bauch breitmachte. Der Schnaps hatte alles erträglich werden lassen. Die Arbeit fiel einem gleich viel leichter, wenn man ein paar Schlucke intus hatte, man ertrug die Launen des Chefs besser, dem man es nie recht machen konnte. Man spürte die kalte Erde nicht so, wenn man stupide eine Eis begonie neben die andere setzte, es war egal, wenn die Sonne einem die Haut verbrannte oder der Regen in den Hemdkragen troff.
    Aber dann, von einem Tag auf den anderen, war alles anders gewesen. Er wurde Vater! Lange hatte er es beiseitegeschoben, hatte wie ein dusseliger Fremder neben Mandy gestanden, während sie summend und pfeifend das Kinderzimmer hellblau strich und mit Babysachen ausstattete. Es war für ihn eigentlich erst ernst geworden, als sie ins Krankenhaus musste. Als sie schrie und sich krümmte, hechelte und ihn dann zum Glück fortschickte – mit dem üblichen traurigen Blick, der Bände sprach.
    Trink nicht so viel, besagte der. Beherrsch dich doch einmal. Hör auf …
    Wie ein begossener Pudel war er von der Entbindungsstation geschlichen, nach Hause, wo sich alles plötzlich falsch angefühlt hatte. Also war er ins Gewächshaus gegangen, in dem die Saat für die nächste Bepflanzungssaison bereits aufgegangen war. Er hatte die Pulle hinter dem Pflanztisch vorgezogen, sie geöffnet und wieder Mandys Blick vor sich gesehen. Wie angewurzelt stand er da, die Flasche in der Hand, lange, bis er zitterte und die Gier immer stärker wurde. Ein Schlückchen, nur ein winziges … Aber er hatte es nicht genommen. Dieses eine Mal drehte er die Flasche, in Zeitlupe, während jede Faser in ihm nach dem Stoff schrie. Er hatte es ausgehalten, war immer mutiger und euphorischer geworden, drehte sie noch ein Stück weiter, ließ die Flüssigkeit aufs Beet schwappen, langsam, ganz langsam, bis kein Tropfen mehr übrig war. Seine Opfergabe für seinen Sohn. Kam er gesund zur Welt, würde er nie mehr rückfällig werden. Nie mehr! Das hatte er sich geschworen. Und Gott hatte den Pakt angenommen.
    Und ihm gleich am nächsten Morgen die Heimsuchung geschickt. Um sieben Uhr hatte er das kleine Bündel im Arm gehalten und Mandy geküsst, die ihn überglücklich anstrahlte. Dann war er zur Arbeit gegangen und war beinahe beim ersten Schritt über diese Flasche auf dem Grab gestolpert. Halb voll.
    Nie in seinem Leben würde er vergessen, was er in dem Augenblick durchgemacht hatte, als er die Flasche genommen, sie zum Abfallbehälter getragen, sie lange angesehen und dann – nach einer Ewigkeit – ebenfalls umgedreht hatte.
    Jedes Jahr aufs Neue. Vierzehn weitere Male hintereinander. Nur heute nicht.
    Buschert trank den letzten Schluck Kaffee, der kalt und bitter geworden war, dann schlurfte er zur Werkstatt neben dem Verwaltungsgebäude und machte sich an die Arbeit. Es sah nicht so aus, als würde noch einmal schlimmer Frost kommen. Im Gegenteil, die Forsythien blühten bereits, und das bedeutete, dass die Rosen und Ziersträucher auf den Vertragsgräbern dringend geschnitten werden mussten, Vergissmeinnicht

Weitere Kostenlose Bücher