Im Dunkel der Schuld
freiwillig getan haben. Aber niemand will mir zuhören.«
»Doch. Ich.«
Ebba hob die Schultern. »Danke. Hilft aber nichts. Wir müssen es akzeptieren.«
»Wer sagt das?«
»Die Polizei.«
»Und Sie? Was meinen Sie?«
»Ich weià nicht. Ich suche nach einem Zusammenhang, aber ich finde keinen.«
»Zusammenhang?«
»Meine Schwester ist vom Balkon gesprungen. Aber sie litt unter extremer Höhenangst. Ich stelle mir vor, dass jemand Rosie gezwungen hat. Es schien ja diesen Mann in ihrem Leben gegeben zu haben.«
Flemming machte eine heftige Bewegung, und das Weinglas kippte um. Es war zum Glück fast leer gewesen.
»Es gab einen Mann?«
»Oder auch nicht. Eine Sackgasse.«
»Was hat sie Ihnen von ihm erzählt?«
»Nicht viel. Es gibt auch keine Spur von ihm. Als habe er nie existiert.«
»Vielleicht war es so.«
Ebba schnaubte. »Und warum sollte sie sich eine Wohnung in einem Hochhaus gekauft haben?«
Mit gerunzelter Stirn schenkte er sich nach. »Kann es sein, dass Sie sich diesen Fremden herbeiwünschen, weil Sie sich so den Tod Ihrer Schwester besser erklären könnten?«
»Es geht ja nicht nur um Rosie.«
»Sondern?«
»Georg fühlte sich vor seinem Tod von jemandem verfolgt und sabotiert.«
»Hat er angedeutet von wem?«
Ebba schüttelte den Kopf. Dass Georg grundlos Maria verdächtigt hatte, ging Flemming nichts an.
»Und Ihre Mutter?«
»Wir hatten nicht viel Kontakt. Irgendetwas ist aber vor ihrem Tod vorgefallen. Ach, wir drehen uns im Kreis.«
»Nein, warten Sie. Das ist hochinteressant. Als gäbe es in jedem Fall etwas Merkwürdiges. Oder jemanden.«
Ebba verzog das Gesicht. »Genau das meine ich.«
»Haben Sie einen Verdacht?«
»Ich zermartere mir das Hirn, aber es gibt kein Bindeglied zwischen ihnen.«
»Vielleicht jemand aus Ihrer nahen Umgebung?«
»Wie bitte?«
»Gibt es auÃer Ihnen und Ihrem Freund jemanden, der Ihre Familie kannte?«
Der mysteriöse Flaschenleger fiel ihr ein, den ebenfalls bislang niemand zu Gesicht bekommen hatte. Sie würde sich lächerlich machen, neben Rosies mysteriösem Bekannten einen zweiten unsichtbaren Verdächtigen aus dem Hut zu zaubern. AuÃerdem schien der eher mit ihrem Vater zu tun gehabt zu haben, weil sich auch nach den nächsten Todesfällen in der Familie an seinem Ritual nichts geändert hatte.
»Selbst Jörg kannte niemanden aus meiner Familie persönlich.«
»Bei den Beerdigungen war er doch bestimmt dabei.«
»Es gab keinen Grund dafür.«
»Er hätte Sie trösten können, zum Beispiel.«
»Ich komme schon klar.«
Sie konnte sein Mitleid riechen, es kroch über die karierte Tischdecke in ihr Herz, wo es nichts zu suchen hatte.
»Sie waren bei den Beerdigungen allein?«
»Sozusagen.«
»Aber wenn die Todesnachricht kam, war Ihr Freund bei Ihnen, oder?«
»Nein. Jörg ist viel beschäftigt.«
»Im Ausland?«
»Nein, nein, in der Regel arbeitet er in Deutschland. Und Sie werden lachen â¦Â« Ihr blieb der Bissen im Hals stecken, als sie sich in Erinnerung rief, wo Jörg zu den jeweiligen Todeszeitpunkten gewesen war: Als Georg starb, fotografierte er in der Pfalz, bei Rosies Tod auf Sylt â in beiden Fällen nicht weiter als hundert Kilometer entfernt. Wo war er eigentlich gewesen, als ihre Mutter Tabletten nahm?
SechsunddreiÃig
Jörg lieà die Gabel sinken. »Wie bitte? Wo ich wann gewesen bin?«
»Am Tag, an dem meine Mutter ins Krankenhaus kam. Ich war in der Galerie, als der Anruf aus Freiburg mich erreichte. Aber mir fällt einfach nicht ein, wo du dich damals aufgehalten hast.«
Ebba spieÃte eine Garnele auf und umwickelte sie mit einem Salatblatt. Die SoÃe war ihr gelungen â sie roch nach Knoblauch und Ingwer â, aber das Essen schmeckte ihr dennoch wie Stroh. Seit ihrem Treffen mit Flemming ging ihr nicht mehr aus dem Kopf, dass Jörg so nahe an den Orten gearbeitet hatte, wo ihre Geschwister gestorben waren.
Und nun war da dieser Verdacht. Ganz leise hatte er sich in ihren Kopf geschlichen, hatte sich festgesetzt und wie ein Krebsgeschwür begonnen, zu wuchern und böse Gedanken auszusenden: Hatte sich Jörg vielleicht nur an sie herangemacht, um mehr über ihre Familie zu erfahren, und dann einen nach dem anderen ⦠Nein, sie
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