Im Dunkel der Schuld
das Foto, das Ebba mitgebracht hatte.
»Sie glauben also, Ihr Freund hat Ihre Mutter, Ihren Bruder und Ihre Schwester umgebracht? Zugegeben, die Todesfälle in Ihrer Familie können aus Ihrer Sicht mysteriös erscheinen. Ich kenne alle Fakten über Ihre Mutter und habe die Kollegen in Schleswig und Heidelberg nochmals gebeten, die Akten hervorzuholen. Negativ. Die Erkenntnisse der Uniklinik Freiburg kennen Sie. Es gibt keine Fremdspuren in Schleswig, und Ihr Bruder â er war herzkrank, heiÃt es, stimmt das?«
Ebba nickte verzagt. Aus der Sicht der Polizei hörte sich ihr Verdacht an den Haaren herbeigezogen an.
»Aber er war jedes Mal in der Nähe des Tatorts.«
»Hm. Das Weingut Knipser liegt von Heidelberg gut 60 Kilometer entfernt, von Baden-Baden nach Freiburg sind es knapp 120 Kilometer, ähnlich weit ist es von Sylt nach Schleswig. Nicht gerade nahe.«
Die Kripobeamtin rutschte auf ihrem Stuhl herum. Ihr Schreibtisch sah aufgeräumt aus, als würde sie ihren Dienstort früher als geplant wechseln.
»Verstehen Sie mich bitte richtig, Frau Seidel«, fuhr sie fort. »Die Polizei geht jedem Hinweis auf ein Tötungsdelikt nach. Die Staatsanwaltschaft hat die Leichen durch die Rechtsmedizin untersuchen lassen, die Spurensicherung hat die mutmaÃlichen Tatorte unter die Lupe genommen â es gibt keine Anhaltspunkte auf die Beteiligung eines Dritten, in allen drei Fällen nicht. Ihr Freund ist freier Fotograf. Er hatte tatsächlich Aufträge, die ihn in die relative Nähe der Wohnorte brachten. Das habe ich nachgeprüft, nachdem Sie mir am Wochenende bei Ihrem Anruf den Sachverhalt geschildert haben. Sowohl in der Pfalz als auch auf Sylt war er für verschiedene Zeitschriften unterwegs. Es wäre jedoch abenteuerlich, daraus eine Verschwörungstheorie zu basteln. Hinzu kommt, dass ein Motiv fehlt. Oder gibt es in der Vergangenheit Ihrer Familie irgendetwas, das Sie mir verschweigen?«
Ebba biss sich auf die Lippen. Frau Wieland hatte recht. Objektiv betrachtet war es abstrus.
Zögernd stand sie auf und nahm Jörgs Foto wieder an sich. Es zeigte sie beide in der Galerie. Frau Hilpert hatte es 2006 aufgenommen, als Jörg die Bilder für seine Sonderseite fotografierte. Wie fremd sie sich damals noch gegenüberstanden! Genauso fremd wie letzten Freitag, als er bedrückt davongeschlichen war und sie in einem See von Albträumen zurückgelassen hatte.
Ein strenger Blick traf sie. »Sind Sie noch mit Ihrem Freund zusammen?«
Ebba schüttelte den Kopf. Sie konnte Frau Wieland am Gesicht ablesen, dass sie gerade an Denunzierung aus Rache dachte. Zum Glück sprach die Beamtin es nicht aus, sondern sagte nur: »Ich werde übrigens meine Handynummer wechseln. Wenn Sie mich künftig erreichen wollen, sollten Sie die offizielle Rufnummer der Dienststelle wählen.«
Ebba nickte, hilflos und zornig zugleich. Niederlage, Niederlage, hämmerte es in ihrem Kopf.
»Behalten Sie das Foto«, sagte sie und legte das Bild wieder auf den Schreibtisch. »Auf der Rückseite habe ich seinen Namen, sein Geburtsdatum und seine Adresse notiert. Heben Sie es bitte auf. Falls mir etwas zustöÃt, können Sie es gern verwenden.«
Sie hatte mehrere Abzüge machen lassen, den nächsten zeigte sie wenig später Pfarrer Claus.
»Kennen Sie den Mann? Haben Sie ihn mal im Betkreis oder in der Kirche gesehen, als meine Mutter noch lebte?«
Der Pfarrer betrachtete das Bild aufmerksam.
»Nein«, sagte er schlieÃlich mit bedauerndem Tonfall und bohrte seine schwarzen Augen in ihr Innerstes. »Beten Sie für Ihre Seele, Kind. Beten Sie für Ihre Mutter.«
»Ich gebe Ihnen ein paar Abzüge. Würden Sie sie bitte im Betkreis verteilen? Meine Telefonnummer steht hinten drauf. Vielleicht erinnert sich jemand an das Gesicht.«
Weiter ging es, in die ehemalige Nachbarschaft ihrer Mutter und in die umliegenden kleinen Geschäfte. Ebba hatte keinen Blick für die malerische Umgebung mit den kleinen Wasserläufen und den niedrigen historischen Häusern, sie war wie getrieben, einen Zeugen zu finden, der ihren Verdacht bestätigen würde. Aber es gab keinen.
Sie wollte nicht aufgeben. Am Abend schickte sie das Foto via E-Mail an Inken mit der Bitte, es herumzuzeigen. Selbst wenn niemand einen Mann gemeinsam mit Rosie gesehen hatte, so war er vielleicht beim Brötchenholen beobachtet
Weitere Kostenlose Bücher