Im Dunkel der Schuld
war und ein Werk von ihm besaÃ.« Jörg stockte und sah zur Decke, wie um sich sammeln zu müssen, bevor er weiterreden konnte. »Als ich das erste Mal in deiner Galerie stand, hatte ich eigentlich nur den Auftrag für ein Foto. Aber dann lernte ich dich kennen und habe dir helfen wollen. Was ist nur los mit dir? Du bist schon den ganzen Abend so zurückhaltend. Willst du lieber allein sein? Hast du etwas Neues über den Tod deiner Mutter erfahren, weil du ausgerechnet nach diesem Datum fragst?«
Sie konnte nicht antworten, sondern betrachtete wie hypnotisiert seine Hände. Feingliedrige, lange Finger. Meistens unglaublich zärtlich. Hatten diese Hände Georg in einen Lift gedrückt, ihrer Mutter Tabletten eingeflöÃt und Rosie vom Balkon gestoÃen? War sein offenes, liebes Gesicht nichts als die Fassade eines psychotischen Serienmörders? Keine Sekunde wollte sie mehr mit ihm in einem Raum sein. Was, wenn sie als nächstes Opfer auf seiner Liste stand?
Nun, sie würde sich, anders als ihre Familienmitglieder, schon zu wehren wissen. Andererseits: Was, wenn er heimtückisch vorging? Ihre Mutter hatte die Tabletten mit Sicherheit nicht freiwillig geschluckt. Wie hatte er Georg in den Lift gelockt und Rosie dazu gebracht, sich eine Wohnung im achten Stock zu kaufen? Nur mit seinem unwiderstehlichen Charme, dem sie selbst seit Jahren erlegen war?
Sie wollte fort von hier. Falsch! Sie musste Jörg dazu bringen, die Wohnung zu verlassen, ohne dass er Verdacht schöpfte, dass sie Bescheid wusste. Sobald er zur Tür hinaus war, würde sie Frau Wieland anrufen und um Hilfe bitten.
Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, es gelang ihr kaum, sich zu konzentrieren.
Plötzlich fiel ihr ein Ausweg ein.
»Thomas Flemming war vorgestern hier«, sagte sie rasch.
Jörg legte verwirrt den Kopf schief. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
»Er wird demnächst nach Baden-Baden ziehen und sich als Heilpraktiker niederlassen. Er bat mich, den Kontakt zu dir herzustellen. Vielleicht kannst du ihm mit der Ãffentlichkeitsarbeit helfen.«
Seine Lippen kräuselten sich. »Worauf willst du nur hinaus? Warum wechselst du plötzlich das Thema? Was ist das überhaupt für ein Typ? Letztes Mal hast du dich beschwert, weil er spurlos untergetaucht war. Du hast ihn nicht wiedersehen wollen, schon vergessen? Und jetzt soll ich vielleicht ein Shooting â¦Â«
»Bist du eifersüchtig?«
Er lachte. »Spinnst du? Sollte ich?«
»Er ist sehr faszinierend.«
»Weil er den Macho macht? Soll ich dir auch mal die kalte Schulter zeigen? Bin ich zu sehr Softie, weil ich versuche, dich in Watte zu packen? Du lieber Himmel, manchmal werde ich nicht schlau aus dir.«
Ebba versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu deuten, aber sie schaffte es nicht. War es Enttäuschung, Resignation oder Wut?
»Sag doch gleich, dass du genug von mir hast«, entgegnete sie scharf. Ein Streit konnte ihn vielleicht dazu bewegen, den Abend von sich aus zu beenden und heimzugehen. Sie fing an, sich vor ihm zu fürchten. Andererseits sträubte sie sich, die Gedanken weiterzuspinnen. Vielleicht war alles nur ein Missverständnis, ein riesengroÃer unglücklicher Zufall.
Doch dann fiel ihr ein, wie er hinter ihr aufgetaucht war, als sie mit der Katze vor Rosies Hintertür gekauert hatte. Woher hatte er gewusst, wo Rosie wohnte, und woher kannte er den Zugang von der Wasserseite? Belegte sein Erscheinen nicht, dass er schon einmal dort gewesen war?
Langsam stand er auf und schob die Unterlippe vor. Seine Augen waren schwarz geworden, es war ihm deutlich anzumerken, dass ihn die Situation quälte.
»Du machst es einem mit deinen Launen und Andeutungen und diesem Misstrauen wirklich schwer, dich zu lieben. Ich weià langsam nicht mehr, was ich noch tun soll. Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir uns nicht mehr sehen â zumindest eine Weile nicht mehr. Bis Weihnachten vielleicht oder besser â¦Â« Er machte eine hilflose Geste. Und während er sich umständlich in den Mantel wand, seine Fototasche umhängte, den Wohnungsschlüssel auf den Tresen legte und zur Tür ging, musste sich Ebba sehr überwinden, ihn nicht doch in letzter Minute zurückzuhalten.
Patricia Wieland hatte in den letzten zwei Jahren viel von ihrem Mädchenhaften verloren, obwohl sie nun eine Zahnspange trug. Nachdenklich klopfte sie mit dem Bleistift auf
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