Im Dunkel der Schuld
»Danke.«
»Ich warne dich: Es gibt keinen Weihnachtsschnickschnack bei mir, keinen Baum, keine Kugeln, kein Lametta, kein White-Christmas -Gedudel und erst recht kein Geschenk. Wäre das okay für dich?«
»Aber darf ich Champagner mitbringen? Und etwas zu essen?«
Sie hob die Hand. »Ich koche. Nichts Aufwendiges, weil die Galerie bis zwölf geöffnet ist. Man glaubt nicht, dass es tatsächlich Männer gibt, die auf den letzten Drücker ein Gemälde kaufen. Jedenfalls habe ich nicht viel Zeit zum Einkaufen.«
»Das könnte ich übernehmen und für dich kochen.«
»Einkaufen ja, kochen nein.«
Er sah sie groà an. »Du willst nicht, dass ich koche? Andere Frauen würden dahinschmelzen. Ah, ich erinnere mich. Georg hatte es angedeutet. Was war eigentlich der Auslöser?«
Ebba zögerte, dann gab sie sich einen Ruck. »Unser Vater hat uns, als ich klein war, oft damit gequält, dass er sagte, im Essen habe er Regenwürmer mitgekocht oder eine dicke tote Kröte. Oder so. Seitdem ekele ich mich vor Essen, das jemand anders für mich zubereitet hat. Essen im Restaurant geht, weil ich mir einrede, der Koch wisse ja nicht, wer an Tisch elf oder vier sitzt. Aber privat ist das unmöglich.«
»Auch nicht, wenn du zuguckst?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir können es gern einmal ausprobieren. Später.«
»In vierzig Jahren, meinst du, oder? Gut, dann werde ich morgen das Weinöffnen übernehmen. Wäre das okay?«
Als er sie nach Hause brachte, fing es an zu schneien. Normalerweise löste es Unbehagen in ihr aus, wenn sie nicht selbst am Steuer sitzen konnte, aber Tom fuhr umsichtig, und sie fühlte sich gut neben ihm.
»Ich begleite dich noch zur Wohnung«, schlug er vor.
Sie musterte ihn von der Seite. »Wie meinst du das?«
»Rein zur Vorsicht. Es ist mir wohler, wenn ich weiÃ, dass niemand dir auflauert.«
Sie musste lachen. »Ich fürchte mich nicht vor Jörg. Er hätte genügend Gelegenheiten gehabt, mich abzumurksen â wenn ich allein an unsere einsamen Wanderungen auf Madeira denke â¦Â« Einen Augenblick verschwamm alles vor ihren Augen, Erinnerungen an den Urlaub tauchten auf, aber sie zerflossen sogleich wie die Schneeflocken an der Windschutzscheibe.
Tom schob das Kinn vor. »Trotzdem. Mir ist nicht wohl dabei. Ich komme mit. Keine Widerrede.«
Ebba kribbelte die Kopfhaut. Das war ihr zu viel der Einmischung. Einmal »Nein« musste reichen.
»Schon gut, danke! Danke fürs Heimbringen und bis morgen«, sagte sie schroff und beeilte sich, aus dem Wagen zu kommen. Sie schlitterte beim Aussteigen im Schnee, sah nicht zurück und wusste trotzdem, dass er sie nicht aus den Augen lieÃ. Das ärgerte sie. Sie war kein hilfloses kleines Kind, verdammt. An der Haustür drehte sie sich um und machte ihm energisch ein Zeichen, dass er fahren sollte. Sie konnte ihn hinter der Scheibe zwar nicht erkennen, aber er gehorchte und gab Gas.
Kopfschüttelnd schloss sie auf und ging nach oben, zögerte zwischendurch, weil sie darauf wartete, dass unten endlich die Haustür ins Schloss fiel. Es dauerte länger als sonst, und schon begann ihr Herz schneller zu klopfen. Na wunderbar, das war allein seine Schuld. Was hatte er ihr nur für einen Floh ins Ohr gesetzt? Jörg würde ihr nichts antun. Niemals. Oder? Ihr kroch eine Gänsehaut den Rücken hoch. Alle Indizien sprachen dafür, dass er etwas mit dem Tod ihrer Angehörigen zu tun hatte, auch wenn das Motiv fehlte.
Gegen ihren Willen zitterten ihre Finger, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte und ihn umdrehte. Einmal, zwei⦠Nein, nur einmal. Sie schloss doch immer zweimal ab. Immer!
Unfug. Sie war heute Morgen in Gedanken gewesen, da konnte das schon mal passieren.
Trotzdem spitzte sie die Ohren. War da ein Geräusch im Treppenhaus? Ein Schatten im Stockwerk unter ihr? Sie war froh über das helle Flurlicht, verfluchte aber zum ersten Mal die Lage ihres Penthouses. Hier oben war sie allein, ohne Fluchtweg, wie in einer Mausefalle.
Gehetzt stieà sie die Wohnungstür auf und wollte hineinschlüpfen. Das Licht im Hausflur ging aus. Drinnen in der Wohnung war es dunkel. Stockdunkel! Warum brannte das Nachtlicht nicht? Das war immer an. Tag und Nacht.
Mit einem Mal wusste sie nicht mehr ein noch aus. War die Gefahr hinter ihr oder vor ihr in der Wohnung? Sie tastete
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