Im Dunkel der Schuld
begeben müssen â¦Â«
»Aber man hat nichts gefunden. Ich habe nichts Böses getan!«
»Vorher soll schon ein Sandkuchen von dir merkwürdig bitter geschmeckt haben, sodass alle ihre Stücke liegen gelassen haben. Zum Glück, muss man jetzt sagen. Frieda, sprich dich aus.«
»Ich ⦠Ich kann nicht. Ich kann nichts dafür. Ich kann mir das selbst nicht erklären.«
»Ich glaube nicht, dass du uns mit Absicht etwas Böses wolltest. Aber es kommt eben eines zum anderen. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie sich von dir abwenden. Kannst du dir das erklären?«
»Was denn?«
»WeiÃt du nichts von â den Gerüchten?«
»N-nein!«
Frieda verknotete ihre Finger und hob den Blick nach oben, in die Ecke, in der das Kruzifix hing.
»Ich rufe zu Gott, dem Höchsten, zu Gott, der mir beisteht. Er sende mir Hilfe vom Himmel; meine Feinde schmähen mich. Gott sende seine Huld und Treue.«
»Amen«, sagte der Herr Pfarrer wieder, obwohl sie sicher war, dass sich ihre Lippen diesmal nur lautlos bewegt hatten. Wieder blickte er in ihr Innerstes, und sie fühlte sich schuldig, obwohl es dafür nicht den geringsten Grund gab. Sie hatte niemanden vergiftet. Trotzdem wurde ihr heiÃ, und der Pullover kratzte plötzlich, als würden sich seine Fasern gegen sie aufstellen.
Voller Unbehagen bewegte sie ihre Schultern, doch das machte es nicht besser. Die eigentlich so vertrauten schwarzen Augen wandten sich von ihren ab, saugten sich an ihren gefalteten Händen fest, die sie zusammenpresste, um zu verbergen, wie sehr sie zitterten.
»Man stellt Fragen, Frieda, sehr unangenehme. Mir ist überhaupt nicht wohl dabei, diese Fragen an dich weiterzugeben. Andererseits verlangen sie Antworten, die nur du geben kannst.«
Fragen? Eine unaussprechliche Furcht stieg in ihr auf, nicht greifbar durchdrang sie ihre Gedanken, ihr Herz und ihre Seele. Eiseskälte breitete sich in ihr aus, die sie so ruhig machte, wie man wohl nur in der Stunde des Todes werden konnte. Nicht einmal das Ticken der Wanduhr vernahm sie mehr, nur noch das Rauschen des Blutes in ihren Ohren und das Hämmern ihres Herzschlags.
Sie wollte die Fragen nicht hören, aber sie konnte sich auch nicht die Ohren zuhalten. Sie hatte doch alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Schuld abzutragen, die sie mit ihrer Geburt auf sich geladen hatte. Die sich durch die Enttäuschung ihres Vaters über sie verstärkt hatte und schlieÃlich auch ihm keinen Ausweg mehr lieÃ. Sie hatte versucht, wenigstens bei ihrem Ehemann alles richtig zu machen, und hatte, als dies nicht gelang, ihre Seele in Gottes Hand gelegt, so inbrünstig, dass sie auf diese Weise das Wohl ihrer Kinder aus den Augen verlor, wenn sie Elisabethas und Rosies letzte ÃuÃerungen richtig interpretierte.
Aber das waren ihre ureigensten, geheimen Seelenqualen, die sie allein mit sich und Gott ausmachen musste. Es gehörte zu ihrem persönlichen Fegefeuer, dass niemand etwas von ihren Nöten ahnte.
Was waren es dann für Fragen, die hinter ihrem Rücken kursierten? Welche Gerüchte? Warum hatte Gott kein Erbarmen? Sie vermochte nicht noch mehr Leiden zu schultern. Sie war am Ende. Es konnte doch nicht Gottes Wille sein, sie zu vernichten. Oder doch?
Pfarrer Claus setzte sich auch an das Tischchen und breitete seine warmen Hände über ihren klammen, bebenden Fingern aus. Sie schämte sich abgrundtief, als eine Träne auf seinen behaarten Handrücken tropfte, und sie entzog sich ihm und nestelte ein Taschentuch aus der Manteltasche.
»Wollen wir morgen weiterreden?«
Entsetzt schüttelte sie den Kopf. Das würde bedeuten, dass sie eine ganze Nacht im Höllenfeuer der Ungewissheit schmoren müsste.
Sie nahm allen Mut zusammen. »W-was sagt man denn?«, hauchte sie.
Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme, lieà sie aber nicht aus den Augen.
»Nach diesen merkwürdigen Vorkommnissen mit dem Müsli und dem Kuchen fragt man sich, woran eigentlich dein Mann gestorben ist.«
Bruno? Es ging um Bruno? Entsetzt fuhr Frieda auf. Damit hatte sie nicht gerechnet. Nie und nimmer, und es lief ihr augenblicklich heià und kalt über den Rücken. Ihr Mund wurde trocken, und sie musste ein bösartiges Kratzen im Hals wegräuspern, ehe sie antworten konnte.
»Das ist dreizehn Jahre her.« Ihre Stimme krächzte, als sei sie mit dieser
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