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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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Drittel hatte vererben wollen. Sie besaß ja immer noch die Bilder des Vaters, die sie zu Geld machen konnte, wenn sie es denn jemals fertigbrachte, sie noch einmal aus dem Lager zu ziehen, zu taxieren und Kunden anzupreisen. Irgendwann. Im Augenblick war es unvorstellbar.
    Ganz unten in der Kiste lag eine altmodische Dokumentenmappe, die mit zwei breiten Lederbändern und einer Art Tagebuchschloss gesichert war und die Goldaufschrift »Persönlich« trug. Ein Schlüssel dazu fehlte, Ebba hatte jedenfalls keinen gefunden. Die Mappe hatte hinter der kleinen Flurgarderobe gesteckt, so, als ob sie aus Versehen dahintergerutscht war – oder als ob jemand sie dort versteckt hatte. Schon meldete sich das Unbehagen zurück, das Ebba ganz kribbelig machte und ihr suggerierte, sie habe etwas übersehen.
    Mit der Schere aus der Küchenschublade gelang es ihr, die dicken Bänder aufzuschneiden. Innen kam ein Ringbuch mit mehreren Einteilungen zum Vorschein. »1995« stand auf dem ersten Deckblatt, und Ebba schleuderte die Mappe reflexartig durchs Wohnzimmer, als würde sie lichterloh brennen. So ähnlich war es ja auch. 1995! 3. Februar! Das Datum, das für alle in der Familie tabu war.
    Ebba hörte sich keuchen. Wieder packte sie ein tiefes Grauen, das bekannte Brummen in ihrem Kopf begann, sie spürte, wie sich unter ihren Haaren und Achseln und auf dem Rücken kalter Schweiß bildete, wie sich ein schwerer Ring um ihre Brust legte und das Tier der Angst immer gieriger in ihrem Magen zubiss. Nur jetzt keine Panikattacke! Ruhig! Es waren nur Papiere. Irgendwann und irgendwo hatten sie ja auftauchen müssen. Sie hatte damit rechnen müssen, gerade hier. Es war unvernünftig, sich vor der Vergangenheit zu fürchten.
    Mit zusammengebissenen Zähnen hob Ebba die Mappe auf. Sie konnte sie einfach zurücklegen, ganz nach unten, und die Kiste nach Baden-Baden mitnehmen und dort ungeöffnet in irgendein Kellerfach stopfen. Es stand »Persönlich« darauf; diese Mappe ging sie nichts an. Vielleicht sollte sie sie unbesehen vernichten. Aber hätte ihre Mutter das nicht selbst getan, wo sie doch offensichtlich alles in der Wohnung auf ihren Tod vorbereitet hatte? Hatte sie die Mappe vor ihren Kindern versteckt oder war sie ihr unabsichtlich verloren gegangen?
    Ebba sah zum Fenster. Es war bereits dunkel, und das Münster leuchtete heimelig. Dicke Schneeflocken umtanzten den Turm. Es würde eine anstrengende Rückfahrt werden.
    War es nicht besser, die Mappe einzupacken, sich ins Auto zu setzen und sich zu Hause in ihrem sicheren Apartment bei einem Schluck Rotwein Gedanken über den Inhalt zu machen – oder ihn mit einem weiterem Schluck zu verdrängen? Aber nein, sie wusste doch: Es nutzte nichts, unangenehme Dinge zu verschieben. Sie holten einen immer wieder ein und wurden in der Zwischenzeit nur noch unangenehmer. Was konnte es schon sein? Sie war dabei gewesen. Sie wusste doch alles. Manchmal musste man es eben aushalten, dass Ereignisse zurückschwappten. Sie war stark genug, um sich dem Spiegel der Vergangenheit zu stellen.
    Ebba drehte das Deckblatt um und versuchte, ruhig zu bleiben. Na also, war doch gar nicht so schlimm. Der Zeitungsausschnitt mit der Polizeimeldung von damals, sachlich und knapp. Dann das mehrseitige Schreiben der Versicherung, die sich um die weitere Abwicklung des Vorfalls, auch um den Schaden des weiter hinten namentlich genannten Unfallgegners kümmern wollte. Es folgten Unterlagen über den Erwerb des Familiengrabs, den Verkauf des Grundstücks und des Hauses in Baden-Baden, Friedas Umzug nach Freiburg, die Verteilung des Pflichtteils an die Kinder, ferner der Totenschein des Vaters, seine Geburtsurkunde und die Heiratsurkunde.
    Ebba sah erneut in das Schneetreiben hinaus. Gut. Das war also geschafft. Sie brauchte nur ihre eigenen Empfindungen beiseitezuschieben, so zu tun, als befände sie sich im Kino. Und sie sollte an andere Dinge denken als an das, was hinter den Papieren lauerte.
    Es gab etwas, das ihr erst jetzt auffiel: Frieda hatte damals alles vollkommen selbstständig geregelt. Keiner von ihnen hatte ihr geholfen, alle waren sie mit ihrem eigenen Grauen und dann mit Studium oder Ausbildung beschäftigt gewesen, Georg in Heidelberg, Rosie in Karlsruhe und sie selbst in Düsseldorf. Keiner von ihnen hatte je einen Gedanken daran verschwendet, wie und ob ihre Mutter die Behördengänge und

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