Im Dunkel der Schuld
das so. Sie merkte ja selbst, dass es ihn oft irritierte, wenn sie ihn nicht an allem teilhaben lieÃ, was ihr durch den Kopf ging.
Das sei es nicht, was er sich unter Partnerschaft und Liebe vorstellte, hatte er ihr schon öfter gesagt und sich dann für mehrere Tage zurückgezogen. Und sie hatte sich schlecht gefühlt, weil sie klammheimlich froh war, wenn sie in diesen Tagen der Einsamkeit wieder aufatmen und zu sich selbst finden konnte.
Ebba schnaubte. Sie suchte also ihr Heil in der Einsamkeit, Rosie in den Büchern, genauso wie ihre Mutter einst ihr Glück in Psalmen und im Kreis von Mitbetenden gesucht hatte. Richtig, sie suchten es, aber keine von ihnen hatte es je gefunden. Das musste aufhören. Es war der falsche Weg.
Wieder tippte sie Rosies Nummer ein und lauschte dem Rufton, der nicht endete.
Ebba vibrierte innerlich, so sehr sehnte sie sich danach, von Jörg in den Arm genommen zu werden, ihn zu küssen, ihn zu spüren, sich ihm hinzugeben, zu hören, was er erlebt hatte, zu berichten, was sie auf dem Friedhof durchlitten und in der Wohnung gefunden hatte. Sie hatte Kerzen angezündet, das Licht gedimmt, eine Flasche Champagner in den Kühler gestellt und extra für Jörg eine CD mit Ella Fitzgerald aufgelegt. Mit ihrer klaren, vollen Stimme brachte ihr »I love Paris« alles zum Schmelzen, und Ebba hoffte inständig, sie könne die Sorgen um Rosie für die nächsten Stunden zurückdrängen.
Als es klingelte, betrachtete sich Ebba schnell im Spiegel neben der Tür. Das weiÃe Kleid war einen Hauch transparent und lieà die schwarze Spitze darunter erahnen. Ihre feuchten Haare lagen eng wie ein Helm an, der alte Granatschmuck, den ihre Mutter ihr zur Volljährigkeit geschenkt hatte, schimmerte verführerisch auf der hellen Haut.
Ja, sie sah gut aus, und es sollte ein entspannter, wunderschöner Abend in den Armen eines groÃartigen Mannes werden, genauso, wie er es sich immer gewünscht hatte. Sie wollte versuchen, ihm mehr Nähe zu zeigen, allen Sorgen um Rosie zum Trotz. Dennoch konnte sie noch nicht ganz abschalten, zu sehr wünschte sie sich, etwas von ihrer Schwester zu hören. Sie legte das tragbare Telefon deshalb griffbereit auf den Küchentresen, erst dann öffnete sie die Tür, und als sie in Jörgs azurblaue Augen blickte, wusste sie, dass sie selbst ebenfalls nichts sehnlicher wünschte, als ihren Traum mit Leben zu füllen.
Während Ebba das Essen zubereitete, erzählte sie von der traurigen Beerdigung der Mutter und auch davon, dass sie Rosie nicht erreichen konnte. Sie musste es einfach loswerden, so sehr beschäftigte es sie.
»Du klingst so besorgt«, unterbrach Jörg sie. »Was ist daran so schlimm, wenn du sie an einem Sonntagnachmittag nicht erreichst? Das ist doch vollkommen normal, oder?«
»Ist es nicht. Rosie ist immer zu Hause. Oder im Laden.«
»Vielleicht besucht sie eine Freundin, geht spazieren oder hat einen Freund.«
»Das wüsste ich. Ich versuche es seit gestern Abend ununterbrochen.«
»Hast du Angst, es könnte ihr etwas passiert sein?«
Ebba lieà das Messer sinken. »Das auch«, murmelte sie. »Ich muss ihr auÃerdem etwas sehr Wichtiges über unsere Familie mitteilen.«
Dass sie Rosie unbedingt über die Vorkommnisse in der Hochzeitsnacht ihrer Mutter informieren wollte, mochte sie ihm nicht sagen. Es würde die Stimmung zerstören, fürchtete sie, und das wollte sie nicht. Nicht heute, nicht jetzt. Deshalb wechselte sie schnell das Thema.
Während des Essens begann sie sich etwas zu entspannen. Sie saÃen sich gegenüber, die Kerzen verbreiten angenehmes Licht, der Wein funkelte in den Gläsern, und sie lieÃen sich Zeit, taten so, als sei dieser Abend für die Unendlichkeit bestimmt.
Das Flirren in Jörgs Augen verriet, wie sehr er sie begehrte, aber er zögerte es hinaus, um das Verlangen in ihnen beiden noch zu steigern. Wenn er ihr mit dem Finger über den Arm fuhr, ihre Augenbraue nachzog, wie beiläufig ihre Brust streifte, durchfuhr Ebba ein Schauer, wohl auch, weil es ihr endlich gelang, das ewig wachsame Kontrollzentrum in ihrem Kopf auszuschalten und nur noch mit dem Körper auf Jörg zu reagieren.
Er erzählte vom bitterkalten Winterwind an der Ostsee, von der grauen Trostlosigkeit der flachen Landschaft, über die der Sturm hinwegpeitschte, von den niedrigen,
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