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Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Im Dunkel des Deltas (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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schob den Daumen in seine Uhrtasche und drückte ihr einen Silberdollar in die Hand. Die Spitzen seiner schlanken Finger berührten ihre Haut. Sie hatte nicht gewußt, daß eine Münze so dick und schwer sein konnte. »Das ist für Weihnachten. Und jetzt lauf los und sag deiner Mama, daß der Kaffee für Mister Moleen ist.«
    Sechs Jahre lang sah sie ihn nicht mehr, und dann, an einem kalten Neujahrsnachmittag, hörte sie Gewehrschüsse auf der anderen Seite des Zuckerrohrfeldes, drüben bei den Bäumen, und als sie hinaus auf die Veranda ging, sah sie vier Männer nebeneinander durch das gefrorene Stoppelfeld schreiten, während die Vögel vor ihnen wie verrückt durch die Luft schössen, als wollten sie sich am unerbittlich blauen Himmel unsichtbar machen.
    Die Jäger luden Segeltuchstühle, eine Kühlbox und einen zusammenklappbaren Grill von der Pritsche ihres Pickup, tranken Whiskey und bereiteten fünf Zentimeter dicke, blutige Steaks auf einem Holzfeuer zu, dessen Rauch vom Wind verweht wurde wie ein zerfetztes Taschentuch. Als der Mann, der sich Moleen nannte, sie sah und ihr quer über das Feld hinweg zurief, ob sie ihnen Wasser bringen könnte, lief sie rasch in die Küche und füllte einen Plastikkrug, und das Herz schlug ihr dabei bis zum Hals, ohne daß sie wußte, weshalb.
    Die Gesichter der Jäger waren vom Wind und vom Bourbon gerötet, in ihren Augen saß der Schalk, und ihre Gespräche verliefen teils tiefsinnig, teils hitzig vom Adrenalin in ihrem Blut, als sie die Waffen mit den ventilierten Laufschienen hochrissen, anlegten, eine donnernde Salve abfeuerten und ein, zwei, drei, vier, fünf Vögel erlegten, die wie zerfetzte Federknäuel vor der Wintersonne herabtaumelten. Sie füllte ihre Gläser, war sich nun bewußt, daß ihre Aufregung nicht nur unbegründet, sondern töricht war, daß sie sie eigentlich gar nicht wahrnahmen, von dem einen oder anderen Blick einmal abgesehen, wenn sie darauf achteten, daß sie ihnen kein Wasser über die Hände schüttete.
    Doch als sie wegging, herrschte hinter ihr einen Moment lang Stille, ein Schweigen, das ihr förmlich in den Ohren dröhnte; dann ertönte eine tiefe Männerstimme, und sie hatte das Gefühl, als zögen sich ihre Rückenmuskeln zusammen und verkrampften sich unter dem Kleid, so als übten diese derben, unmißverständlichen Worte eine Macht aus, die sie sowohl körperlich als auch seelisch schrumpfen ließ.
    »Innen drin ist alles rosa, Moleen.«
    Sie schaute starr geradeaus, auf die Veranda, wo ihre Tante und ihr Bruder saßen, Pecannüsse schälten und in einen Eimer warfen, auf die Weihnachtsbeleuchtung, die noch immer unter dem Vordach hing, auf ihre beiden Katzen, die in einer Mooreiche spielten, deren Äste nackt und kahl wie gebrochene Finger ins winterliche Licht ragten.
    Sie wartete darauf, daß die Jäger laut loslachten. Statt dessen trat erneut Stille ein, und im Wind, der ihr in den Rücken blies, hörte sie deutlich die Stimme des Mannes namens Moleen.
    »Du hast zuviel getrunken, mein Werter. Trotzdem kann ich eine derartige Unhöflichkeit gegenüber einer Frau auf meinem Anwesen nicht dulden.«
    Diesen Moment vergaß sie nie.
    Er kam erst lange nach der Heimkehr der anderen Soldaten vom Militärdienst zurück. Er erklärte weder, warum, noch verriet er jemandem, wo genau er gewesen war. Aber er war still und in sich gekehrt, wie jemand, der den Tod hautnah erlebt hat oder mit ansehen mußte, wie die Persönlichkeit, die er einst besaß, zerfressen wurde. Oft saß er allein in seinem Wagen bei dem Gummibaumhain, hatte die Türen offen, damit der Abendwind eindringen konnte, rauchte eine Zigarre, während rundum die Zikaden zirpten, und starrte auf die glutrote Sonne, die über den Zuckerrohrfeldern unterging.
    Einmal schlug Ruthie Jean eine alte Ausgabe der Illustrierten
Life
auf und sah ein Bild, das in Indochina aufgenommen worden war – ein Tal voller grünem Elefantengras und dazu eine Sonne, die wie eine rote Hostie am wäßrigen Horizont versank. Sie ging damit zu Moleens Wagen, fast so, als habe sie den Schlüssel zu seinen Gedanken gefunden, drückte es ihm in die Hand und schaute in sein Gesicht, als wolle sie sagen, daß damit nicht die Schuld für den Silberdollar und die Zurechtweisung des betrunkenen Jägers beglichen, sondern offen eingestanden werde und daß sie ein Band zwischen ihnen darstelle, das aufgrund der Rassenzugehörigkeit und des gesellschaftlichen Standes unmöglich war.
    Er wußte es ebenfalls.

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