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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Namen, nur das anonyme ›Freunde und Kollegen‹. Der Sarg war mit einem einzigen Kranz geschmückt, von der Polizeigewerkschaft, und zwei Trauersträußen. Der eine war von mir.
    Der Pfarrer war Ende fünfzig und die Rede, die er hielt, so persönlich wie eine Fotokopie. Wenn jemand einen Kloß im Hals hatte, dann jedenfalls nicht seinetwegen.
    Zum Schluß streute er Erde über den Sarg. »Von Erde bist du genommen, zu Erde sollst du wieder werden …« Die Bühnenarbeiter zogen an den richtigen Seilen, und der Sarg mit Hjalmar Nymark verschwand im Keller, um später eingeäschert, in eine Urne gefüllt und an einem geeigneten Platz abgestellt zu werden. Dort sollte er ruhen, bis es an dem Platz zu eng, das Grab umgegraben und er selbst ein Name in den Registern werden würde. Die steilen Felswände von Ulriken würden über ihn wachen, ein Vierteljahrhundert lang oder so, Regen und Schnee würden fallen, neue Menschen sterben und sich um ihn versammeln, als stellten sie sich auf zum Gesang in einem himmlischen Chor. Vielleicht würde ich selbst mich den Reihen anschließen, bevor sein Grab umgegraben war. Vom Tod wissen wir nichts: nicht, wann er kommt, nicht, was er verbirgt. Ein Auto hinter einer Straßenecke, ein Kopfkissen auf dem Boden … Schon ist er da, rätselhaft und mächtig, unabwendbar wie die Herbststürme, unaufhaltbar wie der ewige Kreislauf der Jahreszeiten.
    Wie immer blieben einige vor der Kapelle stehen. Ich begrüßte ein paar von Hjalmar Nymarks alten Kollegen. Seit langem hatte keiner von ihnen ihn gesehen, aber trotzdem war es traurig, daß er nicht mehr da war.
    Ich ging zu Hamre hinüber, der ein Zeichen machte, als wolle er weiterhasten. Er sah mich unzufrieden an, als sei ich sein personifiziertes schlechtes Gewissen.
Ich sagte: »Na? Gibt’s was Neues?«
Er war verspannt und bleich um den Mund, als er antwortete:
    »Nein. Es gibt keine triftigen Gründe, wertvolle Arbeitskraft darauf zu verwenden, in dieser Sache weiter zu ermitteln, Veum. Nichts deutet darauf hin, daß etwas Kriminelles abgelaufen ist. Unglückliche Umstände vielleicht, und nicht einmal das. Die Todesursache war Herzversagen. Es gab keine Zeichen von Erstickung – die es gegeben hätte, wenn das Kopfkissen als Mordwaffe benutzt worden wäre. Die beiden Pfleger vom Krankenhaus konnten nicht unterschreiben, daß sie die Tür offengelassen hätten – ganz im Gegenteil, sie sind äußerst unsicher. Diese Pappschachtel … tja …« Er zuckte vielsagend mit den Schultern. »Nymark könnte sie selbst weggeschafft haben, vor dem Unfall. Du sagst selbst, er habe an diesem Tag niedergeschlagen gewirkt, als du ihn im Lokal trafst. Manche Leute tun solche Sachen, wenn sie deprimiert sind: räumen die Vergangenheit beiseite, werfen sie in den Müll oder schmeißen sie in den Ofen und machen Feuer.«
    »Und was ist mit dem Unfall selbst?«
    »Tja, das ist natürlich was anderes. Das war ein Verbrechen. Selbst wenn es ein Unfall gewesen wäre, hätte sich der Betreffende selbstverständlich melden müssen.«
    »Der Fall ist also noch nicht abgeschlossen?« fragte ich und hörte den Sarkasmus in meiner eigenen Stimme.
»Nein.«
»Ihr arbeitet daran mit allen Kräften?«
Er sah mich resigniert an. »Also, mal ehrlich, Veum. Du weißt, womit wir uns rumplagen müssen. Wir …«
»Erspar dir weitere Vorlesungen, Hamre. Ich will es nur wissen.«
Es blitzte in seinen Augen und er schob eine Faust durch das zerzauste Haar. »Zum Teufel, Veum. Wenn was Neues auftaucht, werden wir es verfolgen. Aber wir können doch keine neuen Spuren herzaubern, jetzt nicht mehr, so lange danach. Wir haben getan, was wir konnten in der ersten Zeit, als die Spuren frisch waren und auf die Zeugen Verlaß war. Wir sind durch Presse und Rundfunk rausgegangen mit der Aufforderung, sich zu melden. Keine positiven Antworten. Und der Wagen war gestohlen. Es waren keine Fingerabdrücke an ihm zu finden – jedenfalls keine, die uns etwas sagten. Es gab nicht die Spur von Beweisen. Es könnte jeder X-beliebige sein. Er oder sie ist buchstäblich unsichtbar.«
»Unsichtbar?« wiederholte ich.
Vadheim näherte sich, zusammen mit dem Kripochef. Ich sagte nachdenklich, so leise, daß nur Hamre es hören konnte: »Als sei er in die Vergangenheit zurückgekehrt, aus der er kam …«
Hamre sah mich ungläubig an. Vadheim und der Kripochef blieben stehen. Ich begegnete dem Blick des Kripochefs durch die dicken Brillengläser. Das dunkle Haar war nach hinten gestrichen

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