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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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die Hand schon an der Türklinke, als er mich zurückhielt.
»Veum …«
Ich drehte mich um.
Er hatte sich um den Schreibtisch herumbewegt und stand daneben.
»Hören Sie, Veum … Wenn er tatsächlich wieder davongekommen sein sollte. ›Giftratte‹. Suchen Sie ihn mir, Veum. Finden Sie ihn!«
Wie er da neben dem Schreibtisch stand, wohlgekleidet, mager und weißhaarig, mit einem energischen Gesichtsausdruck und die Finger um den Tischrand gekrümmt, erinnerte er an einen alternden U.S.-Marshai, klar zum letzten, entscheidenden Duell.
Ich nickte stumm, öffnete die Tür und ging, bevor er ziehen konnte.
23
    Ich aß in einer dieser Cafeterias zu Abend, in denen sie die norwegische Volksseele auf Tellern servieren: wässrige Kartoffeln, völlig zerkochtes Gemüse und eine Wurst, die in einer Fettlache schwimmend nach Luft japste. Der Nachmittagsdunst lag flach und grau über den roten Dächern am Fjellhang und die Autoschlangen wiesen wie Uhrzeiger vom Zentrum weg. Die Straßen wurden menschenleer gesogen, wie durch eine unerbittliche Zentrifugalkraft. Die Abgase mischten sich mit dem grauen Dunst und umgaben die Nachmittagsstunden mit einem Lichtschein wie von einem rauchigen Lagerfeuer.
    Das Haus, das Elise Blom gehörte, war zweistöckig und einmal weiß gewesen. Die verflossenen Jahre hatten auf dem Holz ihre Fingerabdrücke hinterlassen, und hinter den verschlossenen Fenstern hingen grauweiße Gardinen und versperrten die Einsicht. Nur im ersten Stock leuchtete es schwach von einer Stahllampe direkt neben einem der Fenster.
    Zwei schiefe Treppenstufen führten zu einer braunen Haustür, aber noch bevor ich die unterste erreicht hatte, wurde die Tür geöffnet. Die Frau, die herauskam, empfing mich mit dunkelbraunen, feurigen Augen, aber es war nichts Einladendes an ihnen. Ich hatte einmal eine Lehrerin mit solchem Blick gehabt und sie hatte nie Disziplinprobleme.
    »Wollten Sie zu mir?« fragte sie, als sei die Gasse ihr Privateigentum und als hätte ich mich einer schwerwiegenden Grenzverletzung schuldig gemacht.
    »Elise Blom?« fragte ich und fuhr unwillkürlich zusammen. Ihre Lippen strammten sich und sie schob kaum merklich das Kinn vor. Es war ein starkes Kinn und erinnerte mich am meisten an die Elise Blom, die ich aus den Zeitungsberichten nach dem Pfau-Brand kannte. Damals war ihr Haar stramm aus dem Gesicht gekämmt, was ihre knochigen, klassischen Züge noch unterstrichen hatte, die sie selbst auf einem grob gerasterten Foto zu einer augenfälligen Schönheit machten. Nun waren fast dreißig Jahre vergangen und das Gesicht hatte etwas Konturloses, Zerfließendes bekommen. Das Kinn war immer noch da, aber sonst schienen die Züge die Proportionen verloren zu haben. Der Mund hatte etwas Schiefes, Aggressives, als sei sie der Schurke in einem Western und spräche die ganze Zeit nur durch einen Mundwinkel.
    Sie war für einen abendlichen Stadtbummel gekleidet: in blauem Mantel, braunen Schuhen, eine rote Handtasche in der einen Hand. Sie war stark geschminkt und der Mund war rotgemalt, mit Konturen, die die schmalen, altjüngferlichen Lippen voller erscheinen ließen. Wie um zu unterstreichen, daß sie wirklich im Begriff war, zu gehen, zog sie die Tür hart hinter sich zu. Sie blieb auf der obersten Treppenstufe stehen. »Wer sind Sie?« fragte sie.
    »Ich heiße Veum und ich komme anläßlich einiger Ermittlungen, die ich im Zusammenhang mit dem Brand bei Pfau anstelle, falls Sie sich daran erinnern.«
    Ein höhnischer Ausdruck durchzog flüchtig ihre Augen. Es waren die kältesten Augen, die ich jemals gesehen hatte.
»Was für Ermittlungen, wenn ich fragen darf?«
»Es sind Dinge geschehen, die Anlaß geben, sich einmal ausführlich mit dem, was damals, 1953 passiert ist, zu befassen.« Ich unterließ absichtlich, 1971 zu erwähnen. Hier würde es sich unzweifelhaft lohnen, schrittweise vorzugehen.
»Und woher kommen Sie? Von der Polizei?« Ohne auf Antwort zu warten, stieg sie von der Treppenstufe herunter, und ging dicht an mir vorbei mit schweren Schritten zur Øvregate hinunter.
Ich hastete hinterher. »Nein, nicht von der Polizei. Ich bin eine Art Freelancer.«
Sie sah mich kurz an, schnaubte verächtlich und ging weiter die Gasse hinunter. Eine Wolke von Parfüm stand um sie herum, ein Duft von welken Rosen, die zu lange im Rinnstein gelegen hatten. Sie hatte eine auffällige Gangart. Der Oberkörper schien nach vorn zu kippen, während die Hüftpartie hinterherhing, und sie setzte die Beine

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