Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
vielleicht einen dämonischen Zug?
Es mußte Geheimnisse geben in ihrem Leben, einige davon vielleicht so düster, daß es sowohl für sie als auch für alle anderen das Beste war, sie ruhen zu lassen.
Und weshalb war sie hier? War dies jetzt ihr Leben? Gehörte sie zu den treuen Scharen der Bingo-Gemeinde, oder schaute sie nur zufällig hier vorbei? Ich bezweifelte das Letztere, denn sie kreuzte routiniert auf ihrem Spielbrett ab und eine hektische Röte überzog ihre Halspartie, wenn sie sich einer vollständigen Bingo-Reihe näherte.
Eine knochendürre Frau piepte lautstark aus der ersten Reihe:
»Bingo!« Es entstand eine neue Pause zwischen den Spielen. Ich stand auf und ging zu ihr hinüber. Sie blickte feindselig zu mir auf. Ich sagte:
»Ich will dich wirklich nicht belästigen. Können wir nicht rausgehen, irgendwo hin? Ich kann ein Glas Bier ausgeben, oder einen Drink, wenn du willst. Es ist ganz einfach – notwendig. Und ich werde nicht locker lassen!«
Sie schnaubte zur Antwort.
Ich setzte rasch hinzu: »Und ruf von mir aus die Polizei. Ich kann gerne da meine Fragen stellen. Dort würden sie sicher auch großes Interesse daran haben.«
»Nein, ich – warte!« sagte sie hastig.
In dem Moment kündigte die Mikrofonstimme ein neues Spiel an. Elise Blom sagte kurz: »Warte!«
Das Spiel begann. Ich trottete nach vorn und bezahlte eine Tasse Kaffee. Als ich zurück an meinem Platz war, verfolgte ich die Spielaktivität mit abnehmendem Interesse, zur großen Irritation einer älteren Dame direkt hinter mir. Sie piekte mir in regelmäßigen Abständen auf den Rücken und stieß verärgert aus: »Sie müssen spielen! Sie müssen notieren! Sie können doch nicht einfach so rumsitzen, Mann!«
Draußen vor den schmutzbedeckten Fenstern bekam der Himmel einen dunkleren Ton. Unsichtbare Hände zogen graue Gobelins vor und nur die alte Takelage der Statsraad Lemkuhl zeichnete sich mit scharfen Linien vor dem Hintergrund ab. Alles andere wurde verwischt und undeutlich, wie alte, zerbrökkelnde Bühnenkulissen.
Als sie fünf Spiele gespielt hatte, ohne zu gewinnen, erhob sich Elise Blom, knöpfte den Mantel zu, blickte mich starr an und ging auf den Ausgang zu. Ich folgte ihr hastig. Mit einem verwunderten Blick auf die unbenutzten Spielbons räumte die Lilagekleidete meinen Tisch ab. Als wir das Lokal verließen, hörte ich die Blondine hinter dem Mikrofon ein neues Spiel ankündigen.
Als ich zusammen mit Elise Blom auf den Gehsteig hinaustrat, kam mir der plötzliche Gedanke, daß wir für zufällige Passanten womöglich das typische Bingopaar abgaben. Sie mit der nicht sehr geschmackvollen Zusammenstellung von blauem Mantel und braunen Schuhen, etwas zu stark geschminktem Gesicht und einer Art zu gehen, die einen wachsenden Rausch andeutete; ich mit dem leicht verschlissenen, im Nacken hochgeschlagenen Mantel, den nicht ganz frisch geputzten Schuhen, der braunen Cordhose mit verbeulten Knien und dem ungeschnittenen Haar, das sich im Abendwind leicht lüftete und die grauen Strähnen an der Stirn entblößte. Zwei ausdruckslose Gesichter an einem zufälligen Abend Ende August, während der Herbst mit heftigen Windstößen aus Nordwest sein Kommen ankündigt, leere Plastiktüten die Bordsteinkanten entlanggeweht werden und die Fassaden der Häuser sich stumm und drohend gegen die Nacht erheben.
Ich sagte: »Na? Du kommst also mit?«
Sie sah mich mit verzogenen Gesichtszügen an. Etwas von dem Feuer in ihren Augen war erloschen und die Stimme resignierte, als sie antwortete: »Wir können ein Bier trinken gehen, wenn du mich denn unbedingt belästigen mußt. «
Dann riß sie sich los und peilte eine Richtung an.
»Wohin gehen wir?« fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern und ging los. Ich folgte. Sie sah aus, als wüßte sie, wohin sie wollte.
24
    Das Restaurant, das sie aussuchte, hatte, seit es früher einmal anders hieß, eine geschmacklose Renovierung durchgemacht, und auch damals war es nicht besonders toll gewesen. Jetzt war es eine Art Aufreißerlokal für Leute mittleren Alters. Das Durchschnittsalter der Anwesenden lag jenseits der Fünfzig, und die Stimmung an den Tischen wechselte von lautstarker Betrunkenheit bis zu kopfhängender Melancholie. Auf der Tanzfläche führten diverse Vertreter des männlichen Geschlechts veraltete Stilübungen aus den Tanzschulen der 50er Jahre vor, mit ihrem Lieblingspartner: sich selbst. Denn sie hätten ebensogut allein tanzen können. Die selbstgefällig verzückten

Weitere Kostenlose Bücher