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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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machte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung in Richtung der Abhörstation am Nebentisch, zum Zeichen, daß er die Lautstärke herunterdrehen sollte.
Während ich noch Oberwasser hatte, lehnte ich mich vor und sagte:
»Ja, denn du hast doch mit Harald Wulff zusammengelebt. Ganz bis zu seinem Tod. Oder hast du das vielleicht auch vergessen?«
»Nein«, flüsterte sie. Die Unterlippe zitterte schwach und sie suchte in der Handtasche nach einem Taschentuch. Es war schnell gefunden, und sie hielt es leicht vor den Mund, wie um ein Zeichen von Schwäche auf den Lippen zu verbergen. Der Blick, den sie mir sandte, war nicht sonderlich schön. Er war dunkel, wie ein geschlossener Tunnel. Das Gesicht hatte sich verschmälert und es waren tiefe Löcher in den Wangen.
Ich sagte: »Ihr habt zusammen gelebt – wieviele Jahre? Fünfzehn? Sechzehn?«
»Sei … seit 1959.«
»Und ganz bis zuletzt?«
Sie nickte.
»Erzähl mir, wie er gestorben ist.«
Sie sperrte die Augen auf. Die Stimme kam stoßweise und sie stolperte über die Worte. »Ich – nein – das nicht. Dann geh lieber zur Polizei. Ich bin fertig damit, habe es weggeschoben. Ich weiß nichts davon. Er ging einfach. Kam nicht wieder. Die Polizei. Erzählte mir. Als sie an die Tür kamen. Es passierte einfach.«
»Keine Vorwarnung? Keine mysteriösen Anrufe?«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Wie habt ihr gelebt? Wovon lebte er?«
»Wie – die meisten Leute. Ich arbeitete ja. Und er übernahm weiterhin solche – Bürojobs. Er – er fand seinen Platz.«
»Seinen Platz, in der Gesellschaft, die er eigentlich haßte und verachtete?«
»Er …«
»Behielt er seine politischen Auffassungen, nach dem Krieg?«
Plötzlich funkelte es wieder in ihren Augen. »Ihr seid ein paar verdammte Idioten, ihr alle – alle zusammen … Nie könnt ihr jemanden in Frieden lassen, wenn er einmal einen Fehler gemacht hat. Nicht einmal, wenn sie tot sind, laßt ihr sie in Ruhe. Ihr kommt daher, trippel, trappel, kleine Gnome und Kümmerlinge und quengelt mit denselben, alten Fragen. Er hat seine Strafe abgesessen für das, was er getan hat – damals – lange bevor ich ihn traf. Ist das nicht genug? Ist eine gesühnte Strafe nicht genug? Müßt ihr alles in den Dreck ziehen?«
»Tut mir leid, aber ich gehöre zu der Generation, die – das früheste, was ich erinnere, und ich kann nicht viel mehr als zwei Jahre alt gewesen sein, ist das Geräusch der Bomben, die über Bergen fielen und die merkwürdige, frostige Stimmung in den Bunkern, wo wir uns zusammendrängten, Nacht für Nacht, Morgen für Morgen.«
»Ich erinnere das selbst. Das waren englische Bomben, Veum.«
»Aber es war der Krieg der Nazis. Den Leute, wie Harald Wulff mitgeholfen haben, zu kämpfen, für andere Nationen, gegen ihre eigenen Landsleute.«
»Tja …« Ihre Schultern sanken zusammen und sie verstummte wieder.
»Das war in dem Fall ein Fehlgriff, für den er nach dem Krieg reichlich hat büßen können. – Nichts desto trotz war er es, in den ich mich verliebte.«
Das war eine Aussage, auf die ich keine unmittelbare Antwort hatte. Ich hielt einen Moment inne. Das Orchester war wieder an seinem Platz. Es tat mir weh, sie ,As time goes by’ spielen zu hören, als sei es eine ganz gewöhnliche Tanzmelodie. Um uns herum tanzten – eben jene – unsere Landsleute, Paar für Paar, eng und zärtlich. Die meisten draußen auf der Tanzfläche waren während des Krieges jung gewesen. Einige von ihnen hatten vielleicht aktiv an den Kämpfen teilgenommen, auf der einen oder der anderen Seite. Jetzt, vierzig Jahre später, sah man nicht mehr, auf welcher Seite sie gekämpft hatten. Die Zeit zähmt alle Raubtiere. Zum Schluß enden alle im Museum.
Als ich dann redete, tat ich es mit leiser Stimme. »Ich gehe davon aus, daß du alles weißt, was es von früher über Harald Wulff zu wissen gibt. Ich brauche dir wohl nicht von all den Untaten zu erzählen, für die er nie eine Strafe bekommen hat, obwohl sehr schwerwiegende Indizien dafür sprechen, daß er sie begangen hat. Während des Krieges und vielleicht auch danach. Unglücksfälle wurden sie genannt. Morde, würden andere sagen!«
Sie betrachtete mich mit runden Augäpfeln. »Wovon sprichst du denn jetzt? Was für Unglücksfälle? Was für Morde?«
»Zufällige Todesfälle, reguläre Liquidierungen, ausgeführt während des Krieges von einem anonymen Massenmörder für ›die gerechte Sache‹. ›Giftratte‹ nannten sie ihn, denn er war unsichtbar, wie ein

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