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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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namenloser Giftmörder.«
»Und dieser – dieser Mensch – das soll Harald gewesen sein?« Sie sah mich ungläubig an.
»Ja. Hat er dir vielleicht nicht davon erzählt?«
Sie presste die Lippen zusammen. Und doch schaffte sie es nicht, die Worte zurückzuhalten. Sie kamen heraus, gepresst und fast unhörbar.
»Nein, das hat er nicht getan, und ich kann dir erzählen: ich kannte Harald besser, als irgendjemand sonst und ich weiß – ich weiß – er wäre nie fähig gewesen, zu …« Plötzlich kamen die Tränen. Ihr Gesicht verzerrte sich und wurde rot und sie stand auf und schmiß die Handtasche auf den Tisch, so daß das Bierglas umfiel, der Inhalt über das Tischtuch floß und die Gäste am Nebentisch erschreckt auffuhren. Einer der Musiker verlor völlig den Takt von ,Wenn der weiße Flieder … ’ und zwei der Kellner waren schon auf dem Weg zu uns.
Elise Blom fauchte mich an: »Ich will nie mehr was von Ihnen hören, Veum. Wenn Sie mich nur noch einmal ansprechen, werde ich – wende ich mich an die Polizei – und, wenn Sie es wagen, Sie werden es bereuen!«
Sie warf einen verächtlichen Blick auf die Kellner, die hinzugekommen waren. »Entschuldigen Sie. Ich werde gehen. Der Herr bezahlt.«
Ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, drehte sie sich auf dem Absatz um und ging zur Garderobe. Die Kellner räumten auf, und die Kellnerin kam resolut mit der Rechnung. Als ich bezahlt hatte, war Elise Blom längst verschwunden. Die Gäste an den anderen Tischen verfolgten mich mit verschlagenen Blicken und zwei Kellner begleiteten mich bis an die Tür, um sicher zu gehen, daß ich auch wirklich ging.
Unten auf dem Gehsteig vor dem Restaurant war nichts zu sehen. Elise Blom war nach Hause gegangen; kein Auto fuhr vorbei; es regnete weich von einem nassen Himmel. Es war an der Zeit, sich nach Hause zu trollen.
25
    In Bergen ist das Jahr unberechenbar. Die Jahreszeiten können auftauchen wie Karten aus dem Jackenärmel eines himmlischen Zauberkünstlers: ein unerwartetes Schneewetter im März, eine plötzliche Frostnacht im Mai, ein Sonnentag und fünfzehn Grad Wärme im Januar. Es ist, als spielten die Wettergötter ein gigantisches Ballspiel mit der Sonne, die ständig hinter die AusLinie getreten wird. Alles ist möglich; es gibt keine wasserdichten Regeln.
    In diesem Jahr kam der Sommer gerade im Übergang von August und September zurück und die Wärmeperiode dauerte zwei Wochen. Aber die Sonne fiel schnell am Himmel und trotz der hohen Temperaturen ließ sich niemand hinters Licht fuhren.
    An einem der allerletzten Tage im August ging der erste Bergen-Marathon unserer Zeit vom Stapel. Ich hatte an dem Wochenende Thomas bei mir. Er kam zeitig am Sonnabendmorgen an meine Tür, mit sonnengebleichtem Haar und MickeyMaus-Hemd unter der Jeansjacke. Als ich öffnete, standen wir einen Augenblick da und sahen uns an. Er sah ein wenig verschüchtert aus, aber als ich mich herunterbeugte und ihm einen Kuß gab, entwand er sich nicht. Er war im Laufe des Sommers gewachsen und die Zähne in seinem Mund wirkten nicht mehr so groß.
    Es ist nicht immer leicht, den Kontakt zu einem Kind aufrechtzuerhalten, das du nur alle vierzehn Tage siehst, aber an diesem Wochenende hatte er viel zu erzählen und wir hatten einen gemütlichen Sonnabend. Wegen des Marathonlaufs fragte ich, ob ich ihn am Sonntag früher nach Hause fahren sollte, aber zu meiner Überraschung sagte er, er wolle mitkommen. »Ich komme früh genug nach Hause«, sagte er.
    »Aber es kann ein langes Warten werden«, sagte ich. »Vier, fünf Stunden vielleicht.«
»Ich nehme ein Buch mit.«
Er nahm ein Buch mit. Ich fragte nicht, welches.
Am Sonntagmorgen trieben die allerletzten der vielen Wolken dieses Sommers vom Himmel und als wir zum Fana Stadion kamen, war die Sonne dabei, ein ordentliches Spätsommerfeuer zu entfachen. Es würde warm werden, das Hauglandstal hinauf.
Unten auf der Bahn waren die eifrigsten Läufer schon dabei, sich aufzuwärmen. Andere begnügten sich damit, sich an den entsprechenden Stellen mit Vaseline einzuschmieren, Pflaster über die Brustwarzen zu kleben und zu checken, zum zehnten Mal, daß die Schuhe vernünftig geschnürt waren. Die Stimmung vor einem Marathonlauf ist seltsam. Wenn du es nicht besser wüßtest, würdest du glauben, alle Krankenhäuser im Land hätten ihre Intensivstationen geschlossen und die Patienten nach Hause geschickt. Schmerzen in Bein- und Schenkelmuskulatur, Magenleiden vielerlei Art und Neurosen genug, um

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