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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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eine psychiatrische Abteilung zu füllen, entfalteten sich rund um den Start, wo eine Stimmung tiefen und innigen Pessimismus herrschte. Wenn die Hälfte der Läufer in der Lage war, den ersten Kilometer durchzustehen, wäre es ein Wunder.
Auf der inneren Bahn sah ich Eva Jensen in Jeans und grünem T-Shirt. Wir grüßten einander und ich fragte, ob sie die Absicht habe, teilzunehmen. Sie lachte ein ansteckendes Lachen und schüttelte den Kopf.
»Ich werde nur meine moralische Unterstützung geben«, sagte sie und ließ den Blick über die Laufbahn gleiten. Die rote Kunstbahn lag matt und einladend im Sonnenschein und tausend Jogging-Schuhe schlugen einen gedämpften Tam-tamRhythmus in gespannten Zirkeln rund um den Rasen in der Mitte. Ich folgte ihrem Blick und fand Vegard Vadheim da draußen, in gelbem Hemd und den schwarzen Hosen der Polizei und mit einer dunkelblauen Schirmmütze tief in die Stirn gezogen. Der alte Langlaufkämpfer war schon während des Aufwärmens gut in Gang, und er würde auch dieses Mal nicht leicht zu schlagen sein.
»Würdest du bitte meinen Jungen ein bißchen im Auge behalten?«
Ich klopfte Thomas auf die Schulter.
Sie lächelte. »Na klar. Er kann im Auto mitfahren, dann werden wir. euch unterwegs anfeuern.«
»Prima.«
Vegard Vadheim kam zu uns herüber. »Na, hast du dich ins Licht hinausgewagt, Veum?«
»Es ist jedenfalls einen Versuch wert«, sagte ich und machte ein paar schnelle Kniebeugen, um die schlimmste Nervosität zu dämpfen. Als ich mich wieder aufrichtete, sagte ich leise: »Wie geht’s mit den Ermittlungen?«
Er sah mich scharf an. »Überhaupt nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Es hat sich definitiv erwiesen, daß es keinen Zusammenhang geben kann zwischen dem, was damals war und dem, was dieses Jahr geschehen ist. Sollte etwas Neues auftauchen, dann …« Er zuckte mit den Schultern.
»Wenn nicht …« Sein Gesicht war betrübt. Das dunkle Haar war noch ein wenig grauer geworden. Der Kiefer zeichnete sich scharf ab, der ganze Körper war mager und knochig. Das ließ ihn rastlos erscheinen, als warte er nur auf den Startschuß.
Es war auch nicht mehr lange bis dahin. Ich bekam aufmunternde Blicke von Thomas und Eva Jensen und an der Startlinie stellte ich mich neben Vadheim, als könnte seine Laufstärke mich mit sich ziehen. Das tat sie dann auch, die ersten fünfhundert Meter. Dann trieb er langsam von mir, Meter für Meter, Sekunde für Sekunde. Hinauf zur Kirche in Fana hatte ich seinen Rücken noch in Sichtweite. Später sah ich ihn nicht wieder, bis wir einander weit im Hauglandstal begegneten, er auf dem Rückweg und ich auf dem Hinweg.
Ich hatte mich auf eine ungefähre Zeit von 3.30 eingepeilt, mit einer Geschwindigkeit von fünf Minuten pro Kilometer. Das klappte zwanzig Kilometer weit gut, aber dann begann der Weg, steiler und steiler zu werden. Nach 3 6 Kilometern erhielt ich eine ordentliche Lektion über den Unterschied zwischen Marathon und anderen Läufen. Auf den letzten sechs Kilometern wurde es so steil, daß es mir am besten erschien, zu gehen, jedenfalls abschnittweise. Beim letzten Treffpunkt sah mich Thomas mit bekümmerten Augen an und Eva Jensen hatte plötzlich etwas Krankenschwesterhaftes, als sei sie sich nicht sicher, ob ich mich auf den Beinen halten könnte. Aber ich schaffte es, in ziemlich genau drei Stunden, fünfzig Minuten und zehn Sekunden. Das war eigentlich gar nicht so schlecht für einen 39jährigen, der noch nie vorher einen Marathonlauf bestritten hatte. Vegard Vadheim gewann seine Klasse, in 2.55.16 und war schon wieder aus der Dusche heraus, als ich ins Ziel lief. Eva Jensen fragte, ob wir in die Stadt mitfahren wollten, aber ich antwortete, ich führe selbst. Nach rund einer Stunde war ich auch tatsächlich dazu in der Lage.
Als Eva Jensen und Vegard Vadheim das Stadion verließen, sah ich ihnen lange nach. Thomas fragte, wie das Rennen gewesen sei, aber es dauerte eine Weile, bis ich antwortete.
26
    Der letzte Montagmorgen im August war mild und sonnenumrandet. Die Frauen trugen die Blusen offener, während sich die Männer an ihre Regenschirme klammerten und skeptisch nach Anzeichen für Regen sahen. Aber es waren keine Wolken über Askøy und das Wasser im Byfjord lag spiegelblank und still. Nicht ein Windhauch war in der Luft; das Wetter schien stillzustehen, genau an der Wasserscheide zwischen Sommer und Herbst. Ich ging mit bedächtigen Schritten ins Büro. Der Marathonlauf rumorte empfindlich in den Beinen, aber es

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