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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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haben sie getragen, so lange du sie kennst und ihre Körper können verfallen wirken, oft fast wie aufgeblasen. An einem schönen Sonntag im August, wenn sie an der Landungsbrücke eine sorglose Flasche Pils teilen, während du mit dem Stresskoffer in der Hand und neugebundenem Schlips um den Hals auf dem Weg ins Büro bist, kann es passieren, daß dich ein wenn auch noch so kleiner Stich von Neid durchfährt. Aber ein alter Sozialarbeiter weiß es besser. Sieh sie dir an einem Frostmorgen im November nach einer Nacht in einem umgedrehten Boot bei Nygårdstangen an, bei zehn Grad Kälte und ohne anderen Trost, als einen kleinen Schluck Brennspiritus auf dem Boden einer Limonadenflasche. Begegne ihnen am zweiten Ostertag, wenn alle Behältnisse geleert sind, sogar bei den Schnaps-Schwarzhändlern, und sie von Entzugssymptomen geschüttelt werden. Sieh ihnen in die Augen, wenn sie auf dich zukommen und murmelnd um eine Krone für ›eine Tasse Kaffee‹ betteln. Sieh nach, ob du Freiheit und Unabhängigkeit in ihren Augen findest und nicht Angst, Depression und Erniedrigung. Von denen, die in den großen Villen in Fjellvei wohnen, bis zu diesen Elenden am Fuße der Gesellschaftsleiter ist es per Luftlinie nicht weit, aber zwischen ihnen ist ein Abgrund: sie leben in zwei verschiedenen Welten.
    Die alten Säufer rund um die Landungsbrücke sind ehemalige Seeleute, Hafenarbeiter, Laufburschen und Handlanger. Die meisten von ihnen sind durch psychische Probleme und Alkoholmißbrauch dort gelandet. Ein paar sind auch tablettenabhängig, aber die wenigsten nur rauschgiftsüchtig zu nennen. Die Rauschgiftsüchtigen gehören einer späteren Generation an und du findest sie rund um den Ole Bulls plass, ganz oben im Nygårdspark und rund um das Lille Lungegårdsvann. Nicht viele von ihnen zeigen sich bei Tageslicht. Ihre Einkäufe finden im Dunkeln statt. Die Säufer dagegen kaufen während der Geschäftszeiten ein: Bier vom Kolonialhändler, Schnaps vom Wein-Monopol, zuweilen durch Mittelsmänner.
    Ich überquerte den Markt und schlenderte zu der Clique draußen auf der Landungsbrücke hinaus. Sie betrachteten mich mit nassen Lippen. In den Bartstoppeln glitzerte es von Biertropfen. Ein paar von ihnen nickten. Sie kannten mich von früher.
    Es waren sechs Männer und eine Frau. Vier der Männer waren um einiges über fünfzig, der fünfte war ein Junger um die dreißig, mit halblangem, fettigem, in der Mitte gescheiteltem Haar, zerzaustem Bart und verwüsteten Gesichtszügen. Die Frau war in dem oft so unbestimmbaren Alter der Frauen dieses Milieus, irgendwo zwischen zwanzig und sechzig. Es mag unglaublich erscheinen, daß einige von ihnen sich den Schnaps durch Prostitution verdienen; es läßt dich glauben, daß die Transaktionen in völliger Dunkelheit vor sich gegangen sein müssen. Diese Frau hatte einen massigen Körper und ein merkwürdig mageres Gesicht. Der Mund war eingefallen und teilweise zahnlos, das Gesicht bleich wie der Tod, und die Augen schwammen wie Fische mit dem Bauch nach oben in einem vergifteten Teich. Das Haar war graublond, sie trug einen unkleidsamen Herrenmantel mit einem dicken Shetland-Pullover darunter, und die Beine waren von ein paar steifen, fleckigen Jeans bedeckt. An den Füßen hatte sie grüne Gummistiefel.
    Einer der Männer war ein Typ, den sie ,Faßband’ nannten, Gott weiß, warum. Er hatte einen braunen, alten Filzhut auf dem Kopf und erinnerte an einen Adolf Hitler, malariaverzehrt und frühzeitig pensioniert, irgendwo im südamerikanischen Dschungel. Das Haar war grau und er hatte eine häßliche rote Narbe am Hals. Früher war er als Maschinist zur See gefahren, doch jetzt hätte er es wohl kaum geschafft, heil die Leiter zum Maschinenraum hinunterzustolpern.
    Ich hielt einen zusammengefalteten Zehner vor ,Faßband’ in die Luft und spürte das augenblickliche Interesse, das er bei den anderen weckte.
    »Hör zu, Kamerad, ich würd gern mit einem Typen reden, den sie ›Brandstelle‹ nennen. Wo find ich ihn?«
Er sah lange auf den Zehner. »›Brandstelle‹, ja«, murmelte er. Er sah sich in der Runde um.
Einer der anderen sagte: »Er hängt meist mit dem Professor zusammen. Draußen in Sandviken. Versuch’s vor der Unteroffiziersschule.«
Zwei andere nickten zustimmend. Der Junge mit dem Mittelscheitel starrte feucht auf den Zehner. Die Frau betrachtete mich wie durch einen versteinerten Wald, ihr Blick war so tot wie Asphalt.
Als hätte er nicht gehört, was die anderen

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