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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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nicht eine Sekunde länger hier herumschnüffeln sehen. Wenn du nicht mehr zu sagen hast, dann verschwinde und überlaß den Tatort denen, die hier einen Job zu leisten haben.«
»Schon gut, schon gut. Meinst du, du brauchst mich morgen?«
»Ich werd dich überhaupt nicht mehr brauchen, Veum. Warum fragst du das noch? Du hast doch wohl nicht die Absicht, morgen ins Ausland zu fahren, oder?«
»Nein, ich bin allerdings morgen den ganzen Tag beschäftigt. Mit einem Fall.« Ich hütete mich, zu sagen, daß es sich, so wie ich es sah, noch immer um den gleichen Fall handelte, nur jetzt mit dem Gewicht auf 1953. Der nächste Tag war der erste September: der einzige Tag im Jahr, den Hagbart Helle in Bergen zubrachte. Das war ein Ereignis, das ich nicht zu versäumen gedachte.
»Um Himmels willen, Veum, solange du nicht in meine Beete trampelst, kannst du von hier bis zum Pluto beschäftigt sein. Ich werde dich schon finden, falls ich dich brauchen sollte. Auf der richtigen Seite der Anklagebank, von meinem Blickwinkel aus gesehen. Und du kannst dir selbst denken, welche Seite das ist. Wünsche einen richtig guten Arbeitstag, Veum. Wann ist der Fall denn datiert – 1947?«
Er wieherte leise, sodaß er beinah seinen Zigarettenstummel verschluckt hätte und Peder Isachsen stimmte freudlos ein. Das zweistimmige Gelächter folgte mir bis in den Vorraum, aber schon an der Eingangstür war es verstummt.
Ich war also wieder einmal zu spät gekommen. Zum zweiten Mal in kurzer Zeit war jemand vor mir dagewesen. Ein Mann, der hinkte. Ich nahm diese Tatsache nicht so leicht, wie es Muus anscheinend tat. Und ich war sicherer denn je, daß hier mehr als eine Leiche begraben lag. Es wurde nur schwerer und schwerer, zu wissen, wo man graben sollte.
Ich ging nach Hause, kochte Essen und saß dann mit einem Glas Aquavit in der einen Hand und einem Buch in der anderen in meinem Wohnzimmer, ohne zu lesen. Ich hatte mehr als genug zu überdenken.
Der Raum um mich war still und tot. So still und tot, wie ein Raum nur sein kann, wenn du einmal darin geliebt hast, mit einer Frau, die dir wirklich etwas bedeutete.
32
    Als die erste Morgenmaschine aus Kopenhagen auf Flesland gelandet war und die Passagiere auf dem Weg in die Ankunfthalle waren, ging ich zum Informationsschalter und sagte: »Entschuldigung, aber könntest du vielleicht Hagbart Helle bitten, sich am Schalter zu melden?«
    Es gibt vereinzelte junge Männer, die für hängende Gärten noch nicht genug Bartwuchs haben, die aber statt dessen einen unansehnlichen, flaumigen Oberlippenbart anlegen, als zweifelhafte Bestätigung dafür, daß sie das geschlechtsreife Alter erreicht haben. Der Junge hinter dem Informationsschalter gehörte dazu, war aber immerhin alt genug, um diese Frage schon einmal gehört zu haben. Er maß mich vom morgenzerzausten Haar bis zu den ungeputzten Schuhen und sagte: »Sind Sie von der Presse?«
    Ich antwortete nicht, ließ nur durchblicken, daß ich auf Antworten wartete, nicht auf Fragen.
»In Anbetracht der Umstände«, fuhr er fort, mit einem höhnischen Schimmer in den Augen, »spielt das allerdings kaum eine Rolle. Hagbart Helle kam vor ungefähr einer Stunde mit seinem privaten Jet auf Flesland an. Er ist längst weitergefahren.« Sein Lächeln lag jetzt offen zutage, wie eine Haifinne direkt vor einem öffentlichen Badestrand.
»Das waren viele Worte um nichts«, murmelte ich und wandte mich ab, damit er nicht an meinem Gesicht sah, daß ich dastand wie jemand, dem der Schlips der Länge nach im Krabbensalat hing. Genau genommen hätte ich mir vielleicht selbst einen solchen Bart anlegen sollen.
Ich trank in der Cafeteria eine Tasse Kaffe, während ich darauf wartete, daß sich die Uhrzeiger dem Zeitpunkt näherten, zu dem andere Menschen sich in ihre Büros setzten und die ersten Tageszeitungen aufschlugen. Geschäftige Männer mit schwarzen Stresskoffern düsten hinaus zur ersten Maschine nach Oslo. Die Luft war warm, also trugen sie die hellen Mäntel lässig über dem Arm. Nicht eine einzige Frau war unter ihnen. Sie würden am Abend zurück sein, also hatten sie keinen Grund, ihre Sekretärinnen mitzunehmen.
Gegen neun rief ich bei der Trikotagenfabrik an, die Hagbart Helles Bruder betrieb, und fragte nach dem Geschäftsführer Hellebust. Eine morgenfrische Frauenstimme antwortete, daß der Geschäftsführer an diesem Tag leider nicht anzutreffen sei, aber ich könne mit dem Prokuristen sprechen, ich fragte, ob sie wisse, wo sich der

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