Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
wahrscheinlich mit dem Massenmörder ›Giftratte‹ aus dem Krieg identisch war und der außerdem vielleicht 1953 in den Brand in der Pfau-Fabrik verwickelt war.«
Muus machte eine kauende Mundbewegung. »Hör zu, Veum. Vielleicht und wahrscheinlich, 1971 und 1953, hergottnochmal! Ich frage, warum du heute hier bist. Ich hab dich nicht um eine Geschichtsvorlesung gebeten.«
»Nein? Also gut. Ich bin heute hier, weil ich ein bißchen in diesen Sachen ermittle – sowohl was den Brand von 1953 angeht, als auch nicht zuletzt das Verschwinden von StauerJohan 1971. Das war’s jedenfalls, wonach ich Olga Sørensen fragen wollte.«
»Olga Sørensen? Heißt sie also?«
»Das ist jedenfalls der Name der Frau, die hier wohnt. Aber frag doch die Frau im Erdgeschoß rechts. Sie hat mir nämlich erzählt, daß Fräulein Sørensen – gestern – Besuch hatte, von einem Mann, der hinkte.«
»Manche mögen Leichen, andre mögen Leute, die hinken – was ist schon dabei?«
»Hör zu, Muus. Harald Wulff hinkte. Stauer-Johan hinkte. Der Mann, der gestern abend hier war, hinkte. Der Mann, der beim Verlassen des Hauses, in dem Hjalmar Nymark starb, gesehen wurde, hinkte. Findest du nicht, daß sich das merkwürdig anhört?«
»Tja, dann sind wir also eine Nation von Leuten, die hinken, na und? Die einen hinken, die anderen werden Privatdetektiv. Ich ziehe die ersteren vor.«
»Aber …«
»Wo wir gerade dabei sind, Veum. Ist wohl gerade Sauregurkenzeit in eurer Branche? Ich meine, wenn du schon ganz bis 1953 zurückmußt, um einen Fall zu finden, in dem du rumschnüffeln kannst?« Fr drehte den Kopf leicht zu Isachsen, um zu sehen, ob sein Publikum mitging. Das tat es. Isachsen lachte höflich, aber trocken.
» Und 1971, Muus. Das ist nicht so lange her.«
»Nein, nur zehn Jahre. Aber das ist ja vielleicht auf deinem Kalender nicht so lange. Ist wohl ungefähr die Zeit, die jedesmal vergeht, bevor du wieder ein Honorar kassierst, was?«
» Ich finde das jedenfalls auffällig. Und ich würde dir empfehlen, es ein bißchen genauer zu untersuchen. Herauszufinden, wer hier war, zum Beispiel.«
Er sagte ruhig: »Das werden wir, Veum. Du brauchst uns unseren Job nicht beizubringen. Ich war schon in dieser Branche, als du noch in die Windeln gemacht hast, also komm bloß nicht so.«
Er wandte sich von mir ab und ging ein kleines Stück weiter. Mit der Schuhspitze trat er gegen eine der leeren Flaschen. Breitbeinig blieb er mitten im Zimmer stehen. Nach einem erneuten Blick über das Ganze, wandte er sich wieder mir zu. »So wie ich dieses Bild hier einschätze, ist es am wahrscheinlichsten, daß es ein Unglücksfall war. Die Dame hat sich ein Bier zuviel genehmigt. Im Suff hat sie Schlagseite gekriegt und den Kopf gegen die Kante dieses Sekretärs geschlagen.« Er zeigte auf den blutigen Fleck. »Und der Schlag war tödlich.«
»Eben. Ein Unglücksfall. Und genau das war Harald Wulffs Markenzeichen. Unglücksfälle.«
»Aber hast du nicht gerade gesagt, Harald Wulff wurde 1971, in diesem berühmten Jahr getötet?«
» Angeblich wurde er das.«
»Du besitzt einen reichen Wortschatz, Veum. Vielleicht und wahrscheinlich und angeblich. Aber schließlich und endlich bedeutet es dasselbe, oder? – Ich nix wissen, weiße Mann sein dumm in Kopf, ja?«
»Ihr solltet euch zum Turnier in den lateinamerikanischen Tänzen anmelden, ihr zwei«, sagte ich schneidend. »Ihr seid mir vielleicht ein Pärchen.«
Er ignorierte mich und wandte sich an Isachsen. »Sind die anderen unterwegs? Die Obduktion wird zeigen, wieviel Promille sie hatte, und was die Todesursache war. Wenn wir ein paar Worte mit den Nachbarn wechseln und einsammeln, was es hier drinnen an technischen Indizien gibt, dann sollten wir die Situation wohl unter Kontrolle haben.«
Isachsen nickte.
Ich sagte: »Und vergeßt nicht, daß Olga Sørensen eine wichtige Zeugin gewesen wäre, in einem Fall, der plötzlich wieder aktuell geworden ist.«
»Willst du jetzt Rätselraten mit mir spielen, Veum?« sagte Muus müde.
»Wenn sie von dem, was 1971 passiert ist, mehr wußte, als sie bis jetzt erzählt hat, dann könnte es für irgendwen wichtig geworden sein, sie aus dem Weg zu schaffen, jetzt, wo da jemand anfing, wieder in dem Fall herumzuwühlen.«
»Auch wenn dieser jemand niemand anders war, als der kleine, wilde Veum? Überschätz nicht deine eigene Bedeutung. Und überlaß das Grübeln uns. Du verläßt den Ort des Geschehens – jetzt.« Er wurde plötzlich noch brüsker. »Ich will dich
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