Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
hat? Der Leichengräber.«
Er sah mich giftig an. Der Mantel war derselbe alte, der Hut hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Der Blick, den er mir sandte, hätte von einem Kannibalen kommen können, der auf strenge Diät gesetzt war.
»Wen hast du diesmal um die Ecke gebracht, Veum?« Ich nickte zum Haus hin. »Komm mit.«
Ich führte ihn in den ersten Stock.
Als wir an der Tür im Erdgeschoß vorbeigingen, hörte ich, wie
sie sich wieder einen Spalt öffnete, aber ich sah mich nicht um.
Dankert Muus wurde von Peder Isachsen begleitet, blaßblond und sauertöpfisch wie immer. Sie paßten zusammen. Keiner von beiden mochte mich. »Veum ist eine Art Nekrofiler, wenn du das Wort kennst«, hörte ich Muus Isachsen hinter meinem Rücken unterhalten. Als wir oben an die Tür kamen, kläffte er: »Wer ist denn hier eingebrochen?«
Ich betrachtete ihn ruhig. »Wenn ich nicht das Fenster eingetreten hätte, hätte ich sie nie gefunden.«
»War es denn so unbedingt nötig, sie zu finden?« Ein boshafter Blick leuchtete in seinen Augen auf. »Das ist doch nicht etwa eine von deinen Drogenhuren?« Für Isachsen fügte er hinzu: »Veum hat es mit den Minderjährigen. Und Leichen. Er ist ein Mann mit einem weiten Interessengebiet.«
»Sie heißt Olga Sørensen und ist sicher sechzig, und …«
»Du magst sie älter, mit den Jahren?«
»Sie war die Freundin von Stauer-Johan, der 1971 verschwand. Das Verfahren wurde eingestellt. Gestern hatte sie Besuch von einem Mann, der hinkte. Ein hinkender Mann wurde auch beim Verlassen des Hauses gesehen, als Hjalmar Nymark getötet wurde.«
» Getötet wurde? «
»Ja. Aber das Verfahren habt ihr ja auch eingestellt, oder nicht?«
Vor seinen Augen ging ein Vorhang herunter. »Wollen wir reingehen oder hier draußen stehenbleiben und Blödsinn reden?« Er spendierte noch eine Nebenbemerkung für Isachsen: »Hörst du, er hat seine Geschichte parat, die ganze Theatermaschinerie in Bereitschaft.«
Wir gingen in die Wohnung. Die Frau hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Jetzt konnte ich sie eingehender betrachten. Sie trug eine braune Hose von der geräumigen Sorte und einen gelbbraunen Pullover, in den zwei hineingepaßt hätten. Das Gesicht war von grauweißen Furchen durchzogen und das Gebiß lag verrutscht im eingefallenen Mund.
Muus legte mir eine große, schwere Hand auf die Brust und schritt ins Wohnzimmer. »Du bleibst da draußen, Veum.« Hinter der Türöffnung blieb er stehen. Er ließ den Blick forschend durch den Raum gleiten. Dann klaubte er einen angekohlten kleinen Zigarettenstummel aus der Manteltasche, steckte ihn zwischen die Lippen und zündete ihn mit einem Feuerzeug an. Muus war der Typ, der die Taschen immer voller alter Zigarettenstummel hatte. Es war undenkbar, ihn eine frische, lange und weiße Zigarette anzünden zu sehen. Sie würde sich von seinem graubleichen Gesicht abheben.
Von hinten sah es aus wie ein Genrebild aus einem amerikanischen Kriminalfilm der 40er Jahre. Muus im Mantel und Hut, der Zigarettenrauch wie eine blaue Wolke über seinem Kopf kreisend. Das ärmliche Interieur. Und dann die Frauenleiche auf dem Boden, die allerdings nicht die hollywoodschen Schönheitsansprüche erfüllte, die aber ganz sicher ein wohlverdientes Statistenhonorar würde kassieren können, wenn die Szene fertig war.
Es war nur so, daß diese Sache nie fertig wurde. Wie im Film wurde sie wieder und wieder gedreht, bis niemand mehr richtig wußte, wie sie eigentlich sein sollte. Das einzig Sichere war, daß die Dame wirklich tot war, daß es sich nicht um einen Film handelte, und daß Dankert Muus sich nicht mit Humphrey Bogart messen konnte, nicht einmal mit Edward G. Robinson.
Muus drehte sich langsam um. »Und nun erzähl mir ein für alle Mal, was du hier zu suchen hattest, Veum.«
»Wie ich gerade gesagt habe …«
»Und sei so nett und gib uns gleich die endgültige Version. Ich habe nicht die Absicht, mehr mit dir zu reden, als absolut notwendig. Du kennst mein Verhältnis zu Leichen. Es ist nicht dasselbe wie deins.«
»Nein, du bist der, der immer zu spät kommt, stimmt’s?« sagte ich leise.
»Noch einen von diesem Kaliber und du verschwindest für den Rest des Tages hinter Gittern«, antwortete er. »Möglicherweise jedenfalls, aber …«
Ich hob die Hände und er hielt inne. »Wie ich gesagt habe: die Dame war die Freundin von Stauer-Johan, der 1971 getötet wurde, zur gleichen Zeit, zu der ein Mann mit Namen Harald Wulff getötet wurde. Harald Wulff, der
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