Im Dutzend vielfältiger
ruhte mich aus. Ich konnte nicht mehr. Der Boden war kalt und nass. Eine Amsel schimpfte über mir, es machte – wie nicht anders zu erwarten, die Natur hatte sich gegen mich verschworen – „plitsch“. Die Amsel hatte ihre Geschäfte erledigt und mich intensiv mit einbezogen. Ich spürte leichte Wärme auf dem Kopf. Diesmal kein Blut. Ich tastete nicht danach.
Unter Schmerzen stemmte ich mich hoch. Ich musste zurück. Ich musste in ein Krankenhaus.
Und ich beschloss: Ich hasste Hunde, ich hasste ihre Besitzer, ich hasste Kinder und Zwerge sowieso. Ab sofort hasste ich Amseln und Vögel im Allgemeinen. Ich hasste Schnee, Bäume. Alles.
Mein Gleichgewicht ließ zu wünschen übrig, ich wankte und torkelte über das Eis. Ein Pärchen kam mir entgegen, ich stammelte etwas und wunderte mich über meine fragwürdige Aussprache, die ich selbst nicht verstand.
Der Mann zog seine Freundin auf die andere Seite, weg von mir und schob sie voran. Nur weg von mir. Jaja. Lauft nur.
Warum hatte ich mein Handy zu Hause liegen gelassen? Nur weil ich einmal die Natur genießen wollte, ohne Zwang und ohne ständig erreichbar zu sein? So ein Quatsch!
Wie ein Betrunkener, der junge Mann hatte durchaus recht, rutschte ich aus dem Wald hinaus und auf dem Bürgersteig nach Hause, achtete weder auf matschige Silvesterknaller, noch auf andere ekelerregende Ablagerungen, eilte heimwärts, so schnell es ging. Ein Taxi! Meine Rettung. Mit der unverletzten Hand winkte ich es zu mir. Es hielt an. Das musste mein Glückstag sein.
» Guter Mann,« sagte der Fahrer, » mit den Schuhen kommen Sie bei mir nicht rein!« Er fuhr weg. Ließ mich stehen mit all meinen Schmerzen, der verletzten Kopfwunde und den dreckigen Schuhen, die besät mit Dingen waren, deren Namen ich nicht in den Mund nehmen wollte, um mich nicht auch noch zu übergeben.
Toller Plan. Ich wollte doch nur einmal frische Luft schnappen. Ich wollte nur mal eben rausgehen, etwas anderes sehen, neue Impressionen aufsaugen.
Ich schaffte es nach Hause. Zog mich aus, presste dabei den gebrochenen Arm gegen meinen Bauch. Diese Schmerzen. Meine Kleidung warf ich in den Müll. Alles. Ich wollte es nicht mehr sehen. Ich duschte, zog mir frische Kleidung an und rief mir ein Taxi. Ich war ein Held.
» Kenne ich Sie nicht?«, fragte der Fahrer.
Doch. Doch. Aber ich antwortete ihm nicht, dass er mich eine Stunde vorher, wegen meiner dreckigen Schuhe beinahe hatte, verbluten und verrecken lassen.
Ich gab ihm kein Trinkgeld.
Im Krankenhaus wurde ich freundlich behandelt. Ich bin Privatpatient. Und ein bisschen berühmt. Die Krankenschwester bat um ein Autogramm und erzählte mir, wie toll sie mein letztes Buch gefunden hat.
Ich lächle sie an und genieße den Geruch von Infektionsmittel. Ich liebe das Gefühl des Gipses um meinen Arm, der nur noch pocht.
Zurück zuhause verdunkle ich die Zimmer und sperre die Sonne aus. Die kann einen anderen auslachen. Ich setze mich wieder an meinen Schreibtisch, tippe mit einer Hand. Mein Metier.
Sollen doch andere die Natur genießen. Ich nicht!
Sinne
(2001)
Der Wind bläst mir die Sorgen weg, flüstert mir zärtliche Worte in die Ohren.
Er raubt mir die Sehkraft und treibt mir die Tränen in die Augen. Dankbar halte ich dem Wind mein Gesicht entgegen.
Er weht mir aromatische Essensgerüche in die Nase.
Angeregt durch den Duft, knurrt mein Magen und ruft mir den Geschmack eines köstlichen Mahls in Erinnerung. Ich schlucke. Lächelnd öffne ich den Mund und schmecke den frischen Lufthauch des Windes auf meiner Zunge, würzig und lebendig, kühl und doch wärmend.
Ich seufze, schließe meine Augen, breite die Arme aus, sauge gierig mit all meinen Sinnen die Liebkosungen des Windes auf; fülle meine Lungen, jegliche Pore meines Körpers und meiner Seele mit der Kraft des Windes. Er umarmt mich mit all seiner windigen Macht, hüllt mich ein und hält mich lieblich gefangen. Ich seufze, wohlig und erregt.
Dann plötzlich stürmt es in meinem Inneren. Gefühle, Ängste, brutale Szenen reißen an meinem Gehirn, an meinem Herzen. Dramen, die meine Augen nicht sehen können, meine Nase nicht riechen, meine Zunge nicht schmecken, meine Ohren nicht hören und mein Körper nicht fühlen kann, die nur meine Seele spürt!
Meine Arme klammern sich an meinem Körper fest. Die geöffneten menschlichen Sinne schließen sich wieder, verkümmern in der Angst, zu viel zu erleben. Zu viel aufzunehmen. Mein Magen rebelliert, meine Lunge pocht von
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