Im Fadenkreuz der Angst
Meadowvale-Schule komme, ist Mittagspause. Alle sind draußen, hängen an der Eingangstreppe rum, hocken auf dem Rasen und essen oder genießen auf den Bänken am Sportplatz ein paar herbstliche Sonnenstrahlen. Die Raucher drängen sich auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig, außerhalb des Schulgeländes. Ich sehe einige Leute, die mit mir in der achten Klasse waren. Falls sie mich erkennen, lassen sie es sich nicht anmerken.
Wo stecken Andy und Marty? Autos verlassen den Schülerparkplatz. Verdammt, die beiden sind bestimmt ins Einkaufszentrum gefahren, um sich einen Burger zu holen.
Aber ich irre mich.
»Sammy!«
Ich drehe mich um. Andy kommt auf mich zugelaufen, Marty ist gleich hinter ihm und wischt sich Schokolade vom Mund. »He, Sammy, Alter, was’ los? Alles klar?«
Sie schieben mich zum Todesmobil. Wir fahren vom Parkplatz runter, auf die Hauptstraße, schießen am Einkaufszentrum und den Läden vorbei. Die beiden plappern unentwegt und ich habe mich noch nie in meinem Leben so wohlgefühlt.
»Warum habt ihr nicht angerufen?«, will ich wissen.
»Warum hast
du
nicht angerufen?«, geben sie zurück.
Es stellt sich raus, dass ihre Eltern ihnen die Handys abgenommen haben. Sie fürchteten, die Sicherheitsbehörden würde ihre Telefone anzapfen, weil ihre Söhne mit mir befreundet sind. Andys Mom war ein bisschen betrunken: »Wenn wir abgehört worden sind«, hat sie gesagt, »dann hoffe ich, dass das FBI gehört hat, wie dein Vater nach seinen verdammten Huren gejammert hat!« Aber Andy und Marty haben nicht aufgegeben. Sie haben mehrfach versucht, mich von öffentlichen Telefonen aus anzurufen. Das waren wahrscheinlich die Anrufe, die ich weggedrückt habe, weil ich dachte, es wären irgendwelche Irren.
»Wir wollten zu dir rüberkommen«, sagt Andy. »Aber da waren überall die Fernsehkameras. Und dann haben wir gedacht, bei all dem Scheiß, brauchen wir dir nicht auch noch auf den Keks zu gehen.«
»Spinnt ihr? Ich wollte euch unbedingt sehen. Ich habe gedacht, ihr habt mich hängen lassen.«
»Hängen lassen?«, ruft Marty. »Willst du uns beleidigen oder was?«
»Ich hab Marty gesagt, wenn du uns brauchst, findest du uns«, sagt Andy. »Wir können ja nicht in deine Schule, da haben wir gedacht, du kommst her. Gestern und vorgestern haben wir draußen auf dich gewartet, vor und nach dem Unterricht und in der Mittagspause.«
»Zwei Tage ohne Einkaufszentrum! Ich war echt auf Entzug«, stöhnt Marty.
Ich grinse. »Also ist alles gut!«
»Super. Schön, dich wiederzusehen.«
Ich erzähle ihnen, dass ich von der Roosevelt Academygeflogen bin und wahrscheinlich wieder an ihre Schule komme. Sie grölen so laut vor Freude, dass ich fast taub werde, und ich muss Andy ins Ohr schreien, dass er nicht in den Lieferwagen vor uns krachen soll.
Wir fahren in den Fenton Park. Andy hält im Schatten eines Ahornbaums, hinter den Tennisplätzen. Dort spielen zwei ältere Männer. Ansonsten sind wir alleine. Wir steigen aus, strecken uns und suchen eine vogelschissfreie Zone bei den Picknickplätzen. Andy und Marty setzen sich auf die saubere Ecke eines Tisches. Ich bleibe stehen.
»Ihr habt bestimmt von Dads E-Mail an die Bruderschaft der Märtyrer gehört, oder?«, sage ich. Supersatz, um ein Gespräch zu killen.
Andy zögert. »Und – was bedeutet das?«
»Nichts weiter. Bloß …« Ich gucke einem Eichhörnchen hinterher und überlege, wie ich die Sache möglichst harmlos rüberbringen kann. »Bloß, dass ihr mich nach Kanada bringen müsst.«
Andy schüttelt den Kopf, als hätte er sich verhört. »Wie bitte?«
»Das Ding ist, ich muss nach Kanada und ich habe keinen Führerschein und erst recht kein Auto. Aber selbst wenn, würden sie mich an der Grenze festhalten, wegen meinem Namen und wegen Dad und allem. Also muss ich da über die Grenze, wo keiner kontrolliert, das heißt auf dem Wasser, was bedeutet, dass ihr mich mit der Catalina bringen müsst. Denn ich habe kein Boot, und selbst wenn, könnte ich es nicht steuern. Ich würde auf eine Insel krachen oder so.«
Marty zieht die Nase kraus. »Hast du was eingeworfen?«
»Nein.«
»Solltest du aber. Wegen außergewöhnlicher Belastungen.«
Andy kramt in seiner Tasche. »Willst du Ritalin?«
»Jungs, ich meine das ernst. Ich muss nach Kanada. Wenn’s geht, morgen.«
»Mitten in der Woche. Wir haben Schule.«
»Seit wann hast du denn ein Problem mit Schuleschwänzen? Kannst ja zu Hause erzählen, ein Reporter vom National Enquirer
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