Im Feuer der Nacht
Ashford.
Sie besaß einen starken Willen, war dominant, aber nicht tyrannisch, voller Geistesgegenwart und Scharfsinn, engagiert und hingebungsvoll - am Ende ihrer Tour hatte er genug gesehen, um sich seines Urteils sicher zu sein. Und er konnte hinzufügen, dass sie gereizt reagierte, wenn man sie drängte, selbstherrlich, wenn man sie herausforderte, und leidenschaftlich bis ins Mark, was er besonders dann jedes Mal feststellte, wenn sie mit Kindern umging. Er hätte einen Eid schwören können, dass sie jeden Namen kannte und die Geschichte eines jeden der achtzig Kinder, die sich unter dem Dach des Hauses aufhielten.
Irgendwann waren sie wieder im Foyer des Hauses angekommen. Penelope fiel nichts ein, was sie ihm noch hätte zeigen müssen, um ihm die Bedeutsamkeit der Angelegenheit vor Augen zu führen. Denn er war erfrischend aufmerksam und offenbar fähig, die Lage einzuschätzen, ohne dass man ihm jede Einzelheit minutiös erläutern musste. Sie hielt inne und schaute ihn an. »Gibt es noch irgendetwas, was Sie über die Vorgänge bei uns wissen müssten?«
Einen Moment lang erwiderte er ihren Blick und schüttelte dann den Kopf. »Zurzeit nicht. Alles scheint geradlinig, wohlüberlegt und bestens eingerichtet zu sein.« Er betrachtete das Haus. »Auf der Grundlage dessen, was ich vom Kollegium habe sehen können, stimme ich zu, dass sehr wahrscheinlich niemand aus diesem Kreis in die Sache involviert ist und auch keine Informationen an die ... in Ermangelung eines besseren Ausdrucks, an die Entführer weitergereicht hat.«
Wieder fixierte er sie mit seinen blauen Augen. Penelope gab sich die größte Mühe, so zu tun, als würde sie nicht merken, dass er sie eindringlich musterte.
»Mein nächster Schritt wird mich an den Ort des letzten Verschwindens führen. Ich will die ansässigen Leute befragen, will wissen, was sie wissen.« Er schenkte ihr ein überaus bezauberndes Lächeln. »Wenn Sie mir die Adresse geben, muss ich Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«
Ihre Augen wurden schmal, und sie biss die Zähne fest zusammen. »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf wegen meiner Zeit. Bis wir die vier Jungen zurückhaben, ist diese Angelegenheit wichtiger als alles andere. Selbstverständlich werde ich Sie zur Unterkunft von Dicks Vater begleiten. Abgesehen von allen anderen Gründen, die mich zu diesem Entschluss bewogen haben, sind Sie den Nachbarn nicht bekannt, weshalb die Leute kaum bereit sein werden, sich mit Ihnen zu unterhalten.«
Barnaby hielt ihren Blick fest. Sie fragte sich, ob sie jetzt wohl in einen Streit ausbrechen würden, denn ihr war vollkommen klar, dass Streit sich nicht immer würde vermeiden lassen ... aber er senkte den Kopf. »Wie Sie wünschen.«
Das letzte Wort ging im Getrappel der Schritte auf dem Korridor unter. Penelope wirbelte herum und entdeckte die Hausdame Mrs. Keggs. »Bitte, Miss Ashford, wenn Sie ein paar Minuten erübrigen könnten, bevor Sie das Haus verlassen.« Mrs. Keggs blieb stehen und fügte hinzu: »Es geht um die Besorgungen für die Schlafsäle und das Krankenzimmer. Ich muss heute dringend die Bestellung aufgeben.«
Penelope verbarg ihren Ärger - nicht über Mrs. Keggs, deren Notwendigkeit zu einem Gespräch unabweisbar war - sondern über den unglücklichen Zeitpunkt. Würde Adair die Verzögerung als Vorwand nutzen, um sie aus den Ermittlungen zu drängen? Sie drehte sich wieder zu ihm. »Es wird mich nicht mehr als zehn ... vielleicht fünfzehn Minuten kosten«, kündigte sie an, fragte nicht, ob er warten könne, sondern fuhr gleich fort: »Danach können wir uns auf den Weg machen.«
Immer noch hielt er ihren Blick fest. Sie konnte nichts in seinen blauen Augen erkennen, außer dass er sie abschätzte, prüfte. Dann zuckten seine Mundwinkel, nicht wie bei einem Lächeln, sondern als ob er sich innerlich amüsierte.
»Ausgezeichnet.« Die Eingangstür war inzwischen geöffnet, die lärmenden Stimmen der Jungen drangen ihnen ans Ohr, und er deutete mit dem Kopf in die Richtung. »Ich warte draußen, schaue mir Ihre Mündel an.«
Sie war viel zu erleichtert, um noch fragen zu können, was genau er beobachten wolle, und nickte rasch. »Ich bin in Kürze bei Ihnen.«
Penelope gab ihm keine Gelegenheit, noch einmal seine Meinung zu ändern, drehte sich zu Mrs. Keggs und eilte mit ihr zusammen über den Korridor zu ihrem Büro.
Barnaby schaute ihr nach, vermerkte wohlwollend den forschen Schwung ihrer Hüften, während sie entschlossen über
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