Im fünften Himmel

suchte, drang er durch die Wände, nur ein paar Schritte entfernt vom Eingang zu PLAY HERE.) Wieso ist sie überhaupt zu dieser Wallfahrt aufgebrochen? (Sie musste Marcus sehen, ihn berühren, sich versichern, dass alles, was heute zwischen ihnen passiert ist, sich tatsächlich ereignet hat. Die Grenze zwischen Traum und Wachen war noch nie so durchlässig.)
    Doch das alles spielt keine Rolle mehr. Der Geist hat sie berührt! Sie ist wiedergeboren! Sie ist die reuigste Sünderin in diesem Erweckungsgottesdienst, und es genügt Jessica nicht, im Augenblick ihrer Errettung passive Zuschauerin zu bleiben. Ein evangelikaler Drang überfällt sie, die göttliche Offenbarung (Marcus Flutie!) mit allen zu teilen. Sie hält ihr Handy in die Höhe und fängt ein paar Sekunden ihrer himmlischen Vision ein. Sie spricht ein stummes Gebet und sendet den Beweis des Wunders an Hope, Bridget und Percy mit folgender Botschaft: Ich werde die Hochzeit verpassen, doch für alles Folgende bin ich bei euch. Ich verspreche, morgen erzähle ich alles. XOXO, J.
    Nur ein letzter Schritt fehlt noch, ihre Hingabe zu bezeugen. Sie muss sich vorm Altar mit Marcus Flutie vereinen und das Lob des Showmans unserer Generation singen. Von ihrer Eingebung beseelt greift Jessica nach dem zweiten Mikrofon, das seitlich vom DJ-Pult baumelt, und schaltet es an. Sie öffnet den Mund und fällt ein, begleitet Marcus schwankend bei der letzten Zeile der Bridge.
    Â»I’m FinDIng iT haRD lEaviNG yOur lOvE BeHinD mEeeEEeEeee!«
    Diese kaum musikalischen Geräusche könnte man für erleuchtetes Zungenreden halten. Der Fanclub ist verblüfft, als das Mädchen auf der Bühne erscheint, bis Lola auf sie zeigt und ruft: »Das ist doch unser junger Fanilow aus dem Kundencenter!«
    Sollte Marcus von Jessicas plötzlichem Auftauchen ebenfalls verwirrt sein, so lässt er sich das nicht lange anmerken. Seine Augen weiten sich, richten sich jedoch bald auf die geschwollenen Adern auf ihrer Stirn, denn es strengt sie ungeheuer an, auch die leichtesten Töne zu treffen. Er grinst. Er nickt aufmunternd. Er schwingt sogar ein paar Mal Cancan-mäßig das Bein im Takt zu den Becken, die im letzten Refrain zum Mitklatschen auffordern.
    Â»I jUst caN’t sMiLe WitHouT yOUuuUuuuuuuuuUuuuuuuuUuuuuuU!«
    Jetzt grinsen Jessica und Marcus so breit, dass man ihnen vorwerfen könnte, sie würden die Botschaft des Songs zu dick auftragen. Moment mal. Ihr sagt, ihr könnt nicht OHNEeinander lächeln … Und heißt das dann, MITEINANDER KÖNNT ihr? Ist ja irre. So habe ich das noch nie gesehen! Jetzt verstehe ich endlich …
    Sowie die Musik endet, fallen Jessica und Marcus vor ungläubigem Lachen beinahe von der Bühne. Haben wir das gerade wirklich gemacht? Haben wir vor einem Raum voller fremder Leute »Can’t Smile Without You« gesungen? Sind wir immer noch hier, immer noch zusammen? Ist diese seltsame, aber wahre Geschichte gerade noch viel seltsamer geworden? Über alle Maßen seltsam?
    Inzwischen johlt und pfeift und jubelt der Fanclub und schlägt mit Besteck gegen die leeren Gläser. Der Anblick zweier junger verliebter Fanilows entschädigt dafür, das allerletzte Konzert in Las Vegas zu verpassen. Na ja, fast.
    Als Jessica endlich wieder zu Atem kommt, sagt sie nachdrücklich: Ȇbrigens kann ich wohl ohne dich lächeln.«
    Â»Weiß ich«, antwortet Marcus. »Ich kann auch ohne dich lächeln.«
    Â»Ich kann auch lachen …«
    Â»â€¦Â aber singen kannst du ganz sicher nicht!«, ruft Lola, und da merken Marcus und Jessica, dass sie ihre Mikrofone immer noch an die Lippen halten. Sie lassen sie sinken.
    Marcus dreht sich zu Jessica, beugt sich dicht zu ihr und flüstert durch den Lärm: »Jessica?«
    Sie kann nicht sprechen. Sie kann nur in freudiger Erwartung die Lippen öffnen. Weil Marcus Flutie mich küssen wird , denkt Jessica. Marcus Flutie wird mich küssen, und ich werde hier auf der Bühne in Ohnmacht fallen und mir den Kopf aufschlagen und in meine eigenen Komaträume sinken.
    Sanft drückt er mit Daumen und Zeigefinger ihre Wangen zusammen, so dass er ihre Lippen zu einem übertriebenen Schmollmund zusammenschiebt. »Du bist die schlechteste Sängerin, die ich je gehört habe.«
    Es ist ihre zweite Berührung heute. Wieder fährt ein Stromschlag durch sie beide, und diesmal