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Im fünften Himmel

Im fünften Himmel

Titel: Im fünften Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan McCafferty
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Schädel.
    Immerhin hat ihm der jammervolle Klang seiner Stimme klargemacht, dass er Jessica nicht wecken will. Wenn er es wirklich wollte, könnte er auf ihrem Bett herumhüpfen oder ihren Namen in voller Lautstärke brüllen. Sicher, er möchte, dass sie wach ist, aber er möchte nicht für ihr Aufwachen verantwortlich sein. Ebenso wenig möchte er hier darauf warten. Auch das scheint jämmerlich und bedürftig und ein guter Grund für einen kräftigen Tritt an den Schädel.
    Außerdem hat er einen Plan.
    Auf gut Glück geht Marcus zum Wandschrank, öffnet die Tür und – aha! – findet, was er sucht: einen Bademantel vom HERE-Hotel. Er drückt das Gesicht in die weiche, samtige Baumwolle und atmet ein. Sie riecht frisch, nach Weichspüler. Er zieht den Bademantel über die Cordhose, knotet den Gürtel zu und stellt sich vor den mannshohen Doppelspiegel innen an der Schranktür. Ein unkonventionelles Outfit, sicher, aber weniger gewagt als der freie Oberkörper. Sollte ihn ein verblüffter Gast oder ein misstrauischer Hotelangestellter darauf ansprechen, könnte er einfach behaupten, er habe sich auf dem Rückweg vom Pool oder Spa verlaufen oder dass die Fluggesellschaft sein Gepäck verloren habe, was die meisten Zuhörer dazu bringen würde, ihre eigenen Horrorgeschichten von verlorenen Koffern beizusteuern und seinen Bademantel völlig zu vergessen. Die meisten Leute glauben alles, was man ihnen erzählt, einfach weil sie es gern glauben wollen.
    Er schnappt sich den Notizblock und Stift des HERE-Hotels, um Jessica eine Nachricht zu hinterlassen. Er braucht ein paar Minuten und zahlreiche flüsternde Lippenbewegungen, um die richtige Botschaft mit der richtige Silbenzahl hinzubekommen, die sie nach dem Aufwachen lesen soll. Als er endlich zufrieden ist, steckt er sein Handy in eine Bademanteltasche, die Schlüsselkarte und Brieftasche in die andere, und geht aus der Tür.
ZEHN
    Jessica geht über die Flure eines Krankenhauses. Unterm Arm hat sie ihre tropfenförmige Bordtasche. Sie trägt einen schwarzen Pullover, schwarze Jeans und schwarze Turnschuhe, was scharf mit den hellen Neonlampen und dem weiß gestrichenen Flur kontrastiert. Sie sucht Sunnys Zimmer, hat es aber nicht besonders eilig. Die meisten Türen sind geschlossen, doch sie bemerkt eine offene Tür weiter hinten im Korridor. Sie glaubt, das ist das Zimmer, nach dem sie sucht, doch sie ist nicht sicher, weil es anscheinend keine Zimmernummern zur Unterscheidung gibt. Beim Näherkommen hört sie Musik aus der Tür dringen – ein bekanntes Lied, aber sie kann es nicht gleich einordnen, weil niemand singt, und sie braucht den Text. Wie geht der Text? Sie fängt an mitzusummen, aber davon fallen ihr die Worte auch nicht ein. Wieso fällt mir der Text nicht ein? Sie beschließt, die Zimmerbewohner nach dem Text zu fragen, und als sie den Kopf durch die Tür steckt, entdeckt sie zu ihrer Überraschung, dass es tatsächlich Sunnys Zimmer ist. Aber die Musik ist keine Aufnahme, sondern live von Musikern gespielt, die sich ums Krankenbett gruppiert haben und zu denen niemand anders als Barry Manilow höchstpersönlich gehört. Sunny liegt immer noch im Koma, lila geschwollen und kahl geschoren, an ein Gewirr aus Kabeln und Schläuchen angeschlossen, darunter auch eine Maschine, die ihre Hirntätigkeit überwacht und die mehrfarbigen Abbildungen an die Wand projiziert, wie Lavalampen bei einem Rave. Barry Manilow trägt seinen metallicblauen, mit Strass besetzten Hosenanzug, doch er singt nicht – er hat den Mund offen und das Mikro in der Hand, ist in der berühmten Pose vom Klodeckel erstarrt. Jessica überlegt, wieso Manilow nicht singt, und will ihn gerade bitten, mit dem Posen aufzuhören und mit dem Singen anzufangen, als er sich plötzlich bewegt und die Band mit einer befehlenden Geste des glitzernden Arms zum Schweigen bringt. Dann sagt Barry Manilow traurig zu Sunny: I can’t smile without you. I can’t laugh. And I can’t sing. Barry Manilow wendet sich von Sunny ab und sieht Jessica an, und in diesem Moment merkt sie, dass es nicht Barry Manilow ist, sondern Marcus Flutie im Barry-Manilow-Kostüm.
    Du! , ruft Jessica.
    Ja? , fragt Marcus.
    Du , sagt Sunny, die aufrecht im Bett sitzt und seltsamerweise an kein einziges Gerät mehr angeschlossen ist. Ihr Haar ist genauso nachgewachsen,

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