Im Funkloch
blinzelte. »Ich muss noch was fertig machen«, sagte er. Dann drehte er sich auf der Stelle um, ging zum Tisch und schaltete sein Notebook ein.
Gemeinschaft
»Hey, komm mal mit!«
Ich erkenne Lucas' aufgedrehte Stimme sofort. Eigentlich will ich gerade vom Schulhof runter in Richtung Straße gehen, aber Lucas kreuzt meinen Weg, schlägt mir im Vorbeigehen auf den Oberarm und drängt mich auf die Wiese.
Jenseits der Grasfläche geht ein Junge über den Lehrerparkplatz. Als er Lucas sieht, bleibt er kurz stehen und rennt dann weg. Aber Lucas ist schneller. Er packt ihn am Kragen und hält ihn fest.
Der Junge ist Sechst- oder Siebtklässler und er hat Schiss. Er versucht gar nicht erst, sich aus Lucas' Griff zu befreien. Lucas dreht ihn zu mir. »Das ist Konstantin«, erklärt er gut gelaunt. »Sein Vater ist Chirurg. Und großzügig. Konstantin kriegt reichlich Taschengeld.«
»Ich hab heute nichts bekommen«, murmelt der Junge und schaut mich dabei an, aber er kann mich nicht einschätzen – in seinem Blick liegt eine Mischung aus Angst und Flehen.
»Wer's glaubt«, sagt Lucas und lässt den Kragen los. Seine Hand wandert in den Nacken, drückt zu. Der Junge verzieht das Gesicht vor Schmerz. »Nun rück es schon raus«, raunzt Lucas.
»Aber ich hab nichts!«
»Muss ich es aus dir rausprügeln?«
Ich zweifele nicht daran, dass Lucas das wirklich tun würde. Und der Junge sieht aus, als hätte er es sogar schon mal erlebt. Vielleicht auch öfter. »Wirklich!«, beteuert er.
Lucas schaut mich amüsiert an. »Glaubst du ihm?«
Ich lecke mir über die Lippen. Werden wir beobachtet? Ganz in der Nähe strömen immer noch Schüler vom Schulhof in Richtung Straße, aber niemand scheint uns zu beachten.
»Weiß nicht«, sage ich wahrheitsgemäß.
Lucas lächelt. Er genießt es, das seh ich ihm an. Noch immer hält er den Nacken des Jungen umklammert. Er hebt die andere Hand, schlägt ihm gegen den Hinterkopf. »Nun rück es schon raus, Konsti. Dann bist du auch rechtzeitig zu Hause, um dich auszuheulen, hm?«
»Ich hab doch heute nichts«, wiederholt der Junge und Tränen sammeln sich in seinen Augen.
Einerseits hab ich Mitleid mit ihm. Andererseits . . . fühle ich mich verdammt gut bei der Sache. Stark. Wie immer, wenn ich mit Lucas unterwegs bin – und das ist der einzige Grund, warum ich es überhaupt noch mache.
Lucas schlägt Konstantin ins Gesicht. Es ist nur ein Klaps, der kaum wehgetan haben dürfte, aber Konstantin zuckt zusammen, als wäre es ein Faustschlag gewesen. Vielleicht wird der nächste auch einer werden.
»Wahrscheinlich hat er wirklich nichts«, meine ich achselzuckend.
Blitzschnell fährt Lucas' Hand hoch und trifft mich am Hinterkopf. Mein Kopf ruckt vor. Überrascht keuche ich, mache einen Schritt zurück und starre Lucas mit offenem Mund an. Der sieht mich warnend an, bevor er sich wieder zu dem Jungen wendet. Ich streiche mir mit der rechten Hand durch die Haare, um eine Strähne wieder hinters Ohr zu befördern. Lucas mag es nicht, wenn man ihm in die Quere kommt.
»Ich . . . ein bisschen was hab ich. Ist aber nicht viel«, murmelt Konstantin und greift mit zitternden Händen in seine Hosentaschen. Ich höre Münzen klimpern.
»Was ist hier los?«, tönt eine Stimme vom Parkplatz rüber.
Als der Junge die Faust aus der Hosentasche zieht, grabscht Lucas mit beiden Händen nach dem Inhalt und lässt alles in seine Jackentasche gleiten.
Passlewski hat gerufen. Er steht am Rand des Parkplatzes und scheint den Rasen nicht betreten zu wollen.
»Nichts«, ruft Lucas ihm zu. »Unser junger Mitschüler hier hat sich verlaufen. Wir zeigen ihm, wie er vom Schulgrundstück runterkommt.«
Konstantin schaut über die Schulter zu dem Lehrer, aber Lucas legt jovial den Arm um seine Schulter und zieht ihn mit sich. Ich folge den beiden und rechne damit, dass Passlewski uns hinterherkommt, doch damit habe ich mich getäuscht. Als ich noch einmal zurückblicke, ist er schon auf dem Weg zu seinem Auto.
»Hast dich ja super benommen«, sagt Lucas zu Konstantin und stößt den Jungen unsanft nach vorn. Konstantin kann sich gerade so auf den Beinen halten und rennt weg. »Aber nächstes Mal hast du etwas mehr, klar?«, ruft Lucas ihm noch hinterher.
Mir wird erst jetzt bewusst, wie sehr mein Herz pumpt. Lucas hat gerade Geld abgezockt und ich war sein Komplize.
Lucas scheint Gedanken lesen zu können. Er schaut mich düster an. »Fall mir nicht in den Rücken. Nie. Ist das klar?«
Ich beeile
Weitere Kostenlose Bücher