Im Funkloch
»Die Deppen wissen nicht, bis wann alles repariert ist«, verkündete sie. »Irgendein Ersatzteil fehlt. Immerhin soll das Handynetz morgen wieder funktionieren . . .« Sie war aber alles andere als angetan davon, zumindest diesen Vormittag komplett von der Außenwelt – beziehungsweise von ihrem Schatz – abgeschnitten zu sein.
Schließlich erreichten wir ein Fachwerkhaus ineiner Seitenstraße. Passlewski ging rein und kam kurz darauf mit einer älteren Frau raus, bei deren Anblick einige auflachten, denn sie trug einen weiten, blauen Rock und weiße Kniestrümpfe – und das bei dieser Hitze. Die Haare waren so verknotet, dass es fürchterlich unbequem aussah. Sie ignorierte die amüsierten Reaktionen und versuchte zu lächeln, dann winkte sie uns in das Gebäude.
Das Heimatmuseum versammelte eine ganze Masse an Trachtenkleidern und Werkzeug aus den letzten beiden Jahrhunderten. Zu jedem Stück konnte die Frau ewig etwas erzählen. Sie versuchte uns dazu zu bringen, Butter im Butterfass zu schlagen, aber niemand trat vor, was Passlewski sichtlich wenig gefiel.
Irgendwann verdrückte ich mich heimlich aufs Klo – da konnte ich wenigstens mal ein paar Minuten sitzen und meine Ruhe vor dem alten Krempel haben.
Als ich wieder in den Ausstellungsbereich zurückkam, waren die anderen schon weitergegangen. Von oben erklangen Schritte – sie waren wohl im ersten Stock. Da hörte ich Wortfetzen aus einem der Räume im Erdgeschoss. Ich ging näher.
». . . mir scheißegal!«, hörte ich gerade. Die Stimme kannte ich. Das war Lucas.
Jemand antwortete so leise, dass ich nichts verstehenkonnte. Und Lucas gab etwas genauso leise zurück.
Dann wurde es wieder lauter. »Ich geh zum Direx und die Kacke ist am Dampfen!«, rief Lucas.
»Dann geh. Ob du es machst oder ich – das ist völlig egal. So geht das nicht weiter, Lucas.«
Ich lugte um die Ecke.
Lucas sprach mit Passlewski.
Und zum ersten Mal in meinem Leben sah ich Lucas völlig fassungslos. Sein Mund stand offen, er hatte die Augen aufgerissen, stand ein wenig vorgebeugt da und die Arme hingen kraftlos runter. Er starrte Passlewski an.
Der strahlte eine Entschlossenheit aus, die ich nicht von ihm kannte – vor allem nicht gegenüber Lucas. »Ich ziehe einen Schlussstrich. Direkt nach der Fahrt.«
»Das wird Folgen haben . . .«
»Ja. Für mich, und für dich. Aber ich werde alles akzeptieren. Bist du auch dazu bereit?«
»Ich . . . ich . . .« Lucas stammelte. Unglaublich . . . was auch immer die beiden da beredeten, es schien den übercoolen Lucas zu schockieren.
»Mir reicht's«, grummelte Lucas.
Schritte.
Ich beeilte mich, schnell und möglichst leise vom Türrahmen zu verschwinden, und lief die Trepperauf. Oben stellte ich mich zu den anderen, als wäre ich schon die ganze Zeit dabei gewesen.
Einige Augenblicke später kam Lucas hoch. Er lümmelte sich mit gelangweilter Miene auf einen alten Stuhl. Kurz nach ihm folgte Passlewski, der nach vorne zu Frau Herzig ging und scheinbar interessiert den Ausführungen der Frau im Trachtenkleid zuhörte.
Wobei wollte Passlewski einen Schlussstrich ziehen? Ich rief mir die Worte der beiden ins Gedächtnis zurück, aber ich konnte nichts davon einordnen . . .
Wir mussten noch eine weitere Stunde lang die Trachtenkleider, Werkzeuge, Kutschräder und vergilbten Gemeindebücher anschauen, bis wir in die Freiheit entlassen wurden.
»Ihr habt bis ein Uhr zur freien Verfügung, dann treffen wir uns wieder hier«, verkündete Passlewski, als wir auf dem Kirchenvorplatz standen. »Seid aber rechtzeitig da – unser Bus fährt spätestens um 13.15 Uhr hier ab. Und wer jetzt mitkommen möchte – Frau Herzig und ich besichtigen die spätgotische Kirche.«
Die meisten – ich auch – schauten in jede Richtung außer zu der Kirche, um nicht irgendwie interessiert zu wirken.
Ein paar der Gymmis traten tatsächlich vor. Ich konnte es kaum fassen. Diese verfluchten Streber . . .
»Lass uns abhauen«, raunte Kevin mir zu und ich nickte.
Aber ich hielt noch Ausschau, wohin Tina unterwegs war. Sie saß mit ein paar Mädels auf einer Bank und schien dableiben zu wollen. Immerhin war sie keine von denen, die sich am helllichten Tag freiwillig eine Kirche von innen anschauten.
»Was hast du vor?«, fragte ich Kevin.
»Schau dich um. Was können wir hier schon machen?«
»Einen Kaffee holen«, sagte ich mit Blick auf ein Kaffeestübchen auf der anderen Straßenseite. »Tanken«, ergänzte ich – weiter die Straße
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