Im Funkloch
ist, aber ich schluckte meinen Ärger runter.
»Brauchen Sie hier oben irgendwas, Frau Reitz?«, fragte der Polizist.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich . . . nein, alles in Ordnung. Solange Lucas nur bald gefunden wird.« Damit ging sie wieder zurück ins Haus.
Der Polizist drehte sich zu den Feiernden um. »Okay, Leute, Schluss für heute!«, brüllte er.
Zuerst rührte sich niemand. Aber als der Polizist mit grimmigem Blick zu einem der Autos ging, schaltete der Besitzer schnell die Musik aus.
Tobias starrte die Polizistin wutentbrannt an. Ohne ein weiteres Wort stieg er in sein Auto und raste davon. Daraufhin setzten sich auch die anderen in Bewegung. Es dauerte nicht lange, dann standen nur noch unsere Leute auf dem Platz vor dem Landschulheim. Einige hielten noch etwas verloren Flaschen oder Becher in den Händen. Aber auch sie trotteten jetzt ins Gebäude.
Bevor die beiden Polizisten in ihren Wagen stiegen, ging ich schnell zu ihnen. »Entschuldigung . . .«, sagte ich.
Beide drehten sich zu mir um.
»Tobias ist Ihr Bruder?«, fragte ich die Frau.
Sie nickte, aber nur kurz, als wollte sie eigentlich nicht über ihn reden.
»Ich wollte nur sagen . . . ein Glück, dass ihm nichts bei dem Unfall passiert ist.« Für den lahmen Satz hätte ich mich am liebsten geohrfeigt, aber ich konnte sie kaum direkt fragen, ob er gelogen hatte.
»Was für ein Unfall?«
»Er hat erzählt, er hätte ein Reh gerammt.«
Sie dachte kurz nach. »Ach so, das. Ja. Na ja. Ich hoffe, er lernt was daraus.« Sie schaute mich abwartend an.
»Okay . . .«, sagte ich und ging zurück zu Tina. Die Polizisten fuhren weg.
Ich grübelte darüber, ob die Polizistin wirklich von dem Unfall gewusst hatte. Im ersten Augenblick war ihr nicht klar gewesen, wovon ich redete. Vielleicht hatte sie schnell geschaltet und zugestimmt, um ihren Bruder zu decken – und würde ihn erst später fragen, was er getan hatte . . .
Noel hatte nichts mit Lucas' Verschwinden zu tun. Aber Tobias war immer noch verdächtig . . .
Wie schon so oft musste sich Tina zu Janka aufs Zimmer zurückziehen, um moralischen Beistand zu leisten. Ich setzte mich unterdessen mit ein paar anderen Leuten in den Gemeinschaftsraum. Kevin hatte immer noch einiges im Blut. Er schwadronierte, was er seinen Eltern erzählen würde, sobald er wieder zu Hause wäre. Ha, er würde sofort ausziehen und ab sofort nur noch das tun, was er für richtig hielt. Ich wusste nur zu gut, dass er morgen, nachdem er den Kater überstanden hatte, alles etwas anders sehen würde.
Dass wir morgen nicht dem ursprünglichen Plan folgen würden, zum Meißnerhaus zu wandern, warmehr als klar. Die Klassenfahrt war gelaufen und ein kolossaler Flop – egal, ob sich mit Lucas noch etwas tun würde oder nicht.
Zu aller Erstaunen schleppte sich Frau Herzig in den Gemeinschaftsraum. Sie sah immer noch krank aus, hustete und winkte uns zu sich. »Ich hab gerade mit Herrn Passlewski gesprochen. Hierzubleiben hat keinen Sinn. Morgen früh fahren wir zurück nach Frankfurt.«
Es erhob sich keinerlei Widerspruch.
»Fangt am besten gleich an zu packen. Wir fahren sofort nach dem Frühstück los. Wenn ihr eure Eltern informieren müsst, dass sie euch an der Schule abholen sollen, könnt ihr eine Ankunftszeit von etwa dreizehn Uhr ankündigen. Geht das Telefon gerade?«
Ein paar Leute schüttelten den Kopf. Vorhin hatte es kurz funktioniert.
Sie zuckte mit den Schultern. »Eins noch. Denkt dran, dass wir morgen früh alles durchputzen müssen. Frühstück also spätestens um acht Uhr, damit wir danach noch wischen können und so zwischen zehn und elf wegkommen. Und . . . heute Nacht bitte keine . . .« Sie seufzte und hustete. ». . . Aktionen irgendwelcher Art«, schloss sie.
Damit schlurfte sie wieder zurück in ihr Zimmer.
Die Neuigkeit machte schnell die Runde und sorgte für seltsame Stimmung. Einige schienen erleichtert zu sein und rissen schon wieder Witze, andere sahen traurig aus – aber ob das wegen Lucas' ungewissem Schicksal war oder wegen des unrühmlichen Endes der Klassenfahrt, konnte ich nicht sagen. Als es nur noch darum ging, ob wir den Rest der Woche in die Schule mussten oder freihatten – als wäre das jetzt die wichtigste Frage – kam Tina rein.
Sie nickte mir nur kurz zu, ging zum Festnetztelefon, hob den Hörer ans Ohr – und legte gleich wieder auf.
»Ich brauche deine Hilfe«, flüsterte sie.
»Was denn?«
»Janka . . . sie dreht jetzt völlig am Rad. Sie hat sich
Weitere Kostenlose Bücher