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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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dessen Fahrer Fahrerflucht beging.«
    »Und da vermuten Sie natürlich sofort einen Zusammenhang mit diesen …« Er brach ab, um nach den richtigen Worten zu suchen, »… diesen bizarren Phantasien aus Tausendundeiner Nacht, die Ihnen diese Eigenbrötlerinnen aufgetischt haben?«
    »Hören Sie, diese Organisation, dieser Harem, wie sie es nennen, ist …«
    »Oh, verschonen Sie mich bitte damit! Ein Harem?« Ardiç warf die Arme in die Luft und lachte. »Das ist doch völliger Unsinn, İkmen! Nichts als einzelne Informationen, die Sie zu einer Art Verschwörungstheorie zusammengebastelt haben.«
    »Ratte hat mir erzählt, dass die Familien kürzlich in die Organisation eingestiegen sind. Und die Mürens standen mit Hassan Şeker in Verbindung, der möglicherweise eine wichtige Rolle dabei spielte, Hatice in die Sache hineinzuziehen. In seinem Abschiedsbrief steht, er habe sie getötet. Aber wir wissen, dass das nicht stimmt, denn er war an jenem Abend definitiv zu Hause. Wahrscheinlich hat er versucht, seine Familie vor jemandem zu schützen, möglicherweise vor den Müren-Brüdern. Oder vielleicht vor jemandem, mit dem sie Geschäfte machen – jemand, der wesentlich mächtiger und gerissener ist als Ali und seine Brut. Des Weiteren hat Muazzez Heper das Kleid angefertigt, das Hatice am Abend ihres Todes trug. Sie hat es Anfang der sechziger Jahre genäht, als sie selbst in diese Haremgeschichte verwickelt war.«
    »Aber Sie sagten doch, sie sei inzwischen tot. Habe ich das richtig verstanden?«
    İkmen senkte den Kopf; er fühlte sich völlig ausgelaugt. »Ja.«
    »Und kennt die andere Schwester – die, die noch übrig ist – die Müren-Familie?«
    »Sie selbst kennt sie zwar nicht, aber sie steht in Kontakt mit einer anderen Frau, die …«
    »Und was ist mit dem anderen Informanten, diesem Typ namens Ratte?«
    »Ich habe ihn eine Weile nicht gesehen. Er treibt sich überall und nirgends herum.«
    »Verstehe.« Ardiç seufzte und streckte İkmen dann eine Hand entgegen. »Geben Sie mir die Pistole, İkmen.«
    İkmen reichte sie ihm wortlos.
    »Jetzt gehen Sie nach Hause«, sagte der Polizeipräsident leise. »Und bleiben Sie dort, wie ich es Ihnen befohlen habe. Eine ganze Woche.«
    İkmen blickte auf; in seinen Augen standen Tränen der Erschöpfung. »Sie glauben mir nicht, stimmt’s?«
    »Nein.« Ardiç wog die Waffe nervös in der Hand. »Ich kann mir schon vorstellen, dass Sie das Ganze glauben, aber ich nicht. Man hat Sie mit einer Phantasiegeschichte, einem verrückten Drehbuch abgespeist.«
    »Meinen Sie?«
    »Ja. Jetzt gehen Sie endlich nach Hause, İkmen. Und kommen Sie erst wieder, wenn Sie sich besser fühlen.«
    Ardiç machte Anstalten, in das Vernehmungszimmer zurückzugehen, in dem Ekrem Müren und die beiden Wachtmeister schweigend warteten – zweifellos in dem Bemühen mitzubekommen, was jenseits der Tür vor sich ging.
    Doch bevor Ardiç die Klinke herunterdrücken konnte, hielt İkmen ihn noch einmal zurück. »Was werden Sie jetzt mit Ekrem Müren machen?«
    »Das ist nicht mehr Ihr Problem!« Ardiç zeigte mit dem Finger auf İkmen. »Gehen Sie nach Hause!«
    »Sie werden ihn laufen lassen, stimmt’s?«
    »Gehen Sie endlich!«
    İkmen drehte sich um und wankte den Flur hinunter zur Treppe. Es schmerzte ihn, dass Ardiç ihm nicht glaubte; andererseits hatte es ihn auch geschmerzt, als der Polizeipräsident ihn vom Fall Sivas abgezogen hatte. Wobei das auf Veranlassung von anderen geschehen war, von Leuten aus Ankara, die Ardiç befohlen hatten, ihm den Fall wegzunehmen – eine Art Verschwörung auf höchster Ebene … Bei Allah, dachte İkmen, irgendwie schienen sie plötzlich überall ihre Finger drin zu haben! Erst diese Haremgeschichte, dann Hikmet Sivas’ Verstrickung mit der Mafia in früheren Jahren und vielleicht sogar heute noch, schließlich Ardiçs eiliger Flug in die Hauptstadt …
    Vielleicht werde ich ja wirklich verrückt, dachte İkmen. Vielleicht hatte die geballte Menge an exotischen Ereignissen in Kombination mit einem höchst ungesunden Lebensstil schließlich doch ihren Tribut gefordert.
    Er spürte, wie ihm bei dem Gedanken das Blut aus dem Gesicht wich. Doch dann rief er sich zur Ordnung und ging entschlossen weiter. Tatsache war doch, dass all die Dinge, die er Ardiç erzählt hatte, wirklich passiert waren. Hatice war tatsächlich im Gewand einer osmanischen Odaliske gestorben, Hassan Şeker hatte sich umgebracht, und Muazzez Heper war überfahren worden und

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