Im Glanz der roten Sonne Roman
Max aufzuklären. Nun war sie plötzlich unsicher geworden. Schließlich aber dachte sie an Gabys Söhne, an Jordan und dessen Arbeiter und daran, was Max diesen Menschen antun konnte, und in diesem Augenblick wusste sie, dass deren Wohl sehr viel wichtiger war als ihr guter Ruf.
»Als ich gestern aus der Stadt zurückkam, war Max gerade dabei, einen unserer polynesischen Arbeiter auszupeitschen. Mein Mann war immer schon brutal, aber so weit hat er es bisher noch nie getrieben. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren war, aber er führte sich auf wie ein Verrückter. Als ich eingreifen wollte, hob er den Arm, um auch mich zu schlagen. Zum Glück ist unser Aufseher eingeschritten.«
Gaby entfuhr ein erschrockener Ausruf, doch Letitia hörte es kaum. Wie jedes Mal, wenn sie an den Vorfall dachte, war sie fassungslos. »Er hat Elias vorgeworfen, einem der Arbeiter von Eden etwas über irgendwelche Setzlinge erzählt zu haben, die auf unserer Plantage lagerten.«
»Setzlinge?« Gabys Miene nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. Jetzt ahnte sie, worauf Letitia hinauswollte.
»Ich glaube, die Setzlinge, um die es geht, sind von Jordan bestellt worden. Doch Max hatte Milo Jefferson zumBahnhof geschickt, und der hat sie zu uns auf die Plantage geholt. Dann aber sind sie anscheinend verschwunden – und Max hat seine Wut an dem armen Elias ausgelassen.« Letitia kämpfte mit den Tränen.
Gaby hatte die Männer lachend erzählen hören, wie sie an die Setzlinge herangekommen waren. »Es tut mir Leid, dass einer Ihrer Leute dafür ausgepeitscht wurde, aber Sie sind deshalb doch nicht wütend auf Jordan, oder?«
»Nein, Gaby. Ich wollte Jordan warnen, denn mein Mann ist rachsüchtig. Ich weiß nicht, was er tun wird, aber ich möchte nicht, dass noch mehr unschuldige Menschen darunter leiden müssen. Ich habe Max gebeten, diese unselige Fehde mit Jordan endlich zu beenden, aber er gab mir sehr deutlich zu verstehen, dass er nicht im Traum daran denkt.«
Gaby seufzte. »Jordan wird Ihnen für diese Warnung sicher dankbar sein. Wie wär’s, wenn wir nach dem Tee zusammen zur Arbeiterbaracke gehen und ihn suchen?«
Letitia nickte, doch Gaby fand nicht, dass sie beruhigt wirkte.
»Haben Sie in der Stadt Einkäufe gemacht?«, erkundigte Letitia sich abwesend und blickte zu den Päckchen auf der anderen Seite des Tisches.
»Ja. Jordan hat mich gebeten, Bettwäsche für die Arbeiterbaracke zu besorgen.«
Letitia dachte an den Anblick der Baracke in Willoughby und fühlte Scham und Betroffenheit. »Ich glaube, ich sollte jetzt gleich mit Jordan sprechen, Gaby, solange ich noch den Mut dazu habe. Ich schäme mich entsetzlich für das, was Max getan hat.« Sie senkte den Blick, schaute auf ihre Hände, die sie vor Nervosität nicht still halten konnte.
»Jordan gibt Ihnen keine Schuld, Letitia«, versicherte Gaby und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich werde Ting yan bitten, uns den Tee hinauszubringen. Die Männer trinken sicher auch gern eine Tasse.«
Als die Frauen sich erhoben, hörten sie einen lauten Knall im oberen Stockwerk, gefolgt von gemurmelten Flüchen.
»Alles in Ordnung, Eve?«, rief Gaby.
Keine Antwort.
Während Letitia sich bemühte, ihr Erschrecken zu verbergen, eilte Gaby zum Fuß der Treppe.
»Was ist passiert, Eve?«
»Ich habe die verdammte Blechdose umgeworfen. Ich glaube nicht, dass Jordan einen türkisfarbenen Boden wollte, aber jetzt hat er einen.«
Gaby schlug eine Hand vor den Mund. »Ach du lieber Himmel!«
Eve streckte den Kopf aus einer der Türen auf der Galerie und blickte zu Gaby hinunter. Über ihren eigenen Sachen trug sie ein weites Hemd, das mit Farbklecksen übersät war. Ihre Haare und die Stupsnase waren gesprenkelt wie die Schale eines Vogeleis.
»Ich habe es doch nicht ernst gemeint, Gaby«, sagte sie und verdrehte die Augen. »Es wird zwar endlos dauern, aber ich wische es weg.«
Gaby lächelte erleichtert. »Ich helfe dir gern, wenn du willst.«
»Nein. Das schaffe ich schon allein.«
»Kommst du noch kurz herunter und begrüßt Mrs Courtland, bevor du anfängst?«
Eve riss überrascht die Augen auf und starrte zur Esszimmertür, an der ihre Mutter stehen geblieben war. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie voller Scham daran dachte, wie sie gutgläubige Menschen täuschte. Wie lange konnte sie ihr Geheimnis noch bewahren?
»Nein, ich bleibe lieber oben, Gaby. Ich bin vollkommen verdreckt.«
Letitia spürte die Zurückhaltung ihrer Tochter. »Wir holen
Weitere Kostenlose Bücher