Im Glanz der roten Sonne Roman
mit eingezogenem Schwanz die Cassowary-Küste verlässt!«, rief ihr Mann.
Letitia starrte ihn an, als sähe sie ihn zum ersten Mal seit Jahren. »Ich erkenne dich nicht wieder«, flüsterte sie. »Du bist nicht der Mann, den ich geheiratet habe, Max. Ich kann mich nicht einmal erinnern, wann ich das letzte Mal geglaubt habe, dich wirklich zu lieben.« Sie wandte den Kopf ab, um die Tränen zu verbergen, die ihr in die Augen traten.
Max nahm einen weiteren Schluck Rum und starrte seine Frau verächtlich an. Auch er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so etwas wie Liebe für sie empfunden hatte. Sie waren Fremde – zwei Menschen, die am selben Ort lebten, sonst aber nichts mehr gemeinsam hatten.
Als Max den Rumkrug geleert hatte, ging er ins Haus, um sich schlafen zu legen. Letitia wusste aus Erfahrung, dass er nicht vor Sonnenuntergang erwachen würde, um dann weiterzutrinken. Zum Glück waren die Mädchen in der Stadt. Letitia beschloss, nach Elias zu sehen.
Gerade ging ein heftiges Unwetter nieder. Letitia zog sich eine Öljacke mit Kapuze an und eilte zur Arbeiterbaracke. Max hatte seiner Frau schon vor langer Zeit verboten, weiter als bis zu dem Zaun zu gehen, der die Baracke der kanakas vom Haus abschirmte. Es schicke sich nicht für die Herrin von Willoughby, Kontakt mit den »untersten Klassen« zupflegen, hatte er gesagt, doch Letitia selbst hatte nie so gedacht. Sie hatte sich nur deshalb von der Baracke fern gehalten, um im Interesse der Mädchen den häuslichen Frieden zu wahren, und hatte sich aus zwei Gründen auch nicht in die Leitung der Plantage eingemischt: Erstens hätte Max es ohne heftige Auseinandersetzung gar nicht zugelassen, und zweitens verstand Letitia zu wenig vom Zuckerrohranbau. Ihre Domäne war immer das Haus gewesen.
Inzwischen aber hatte ihre Meinung sich geändert. Es war ein langer, schmerzhafter Prozess gewesen, doch nun war Letitia nicht mehr davon überzeugt, dass Max alles besser wusste. Sie sah keine Veranlassung mehr, die unterwürfige Ehefrau zu spielen. Plötzlich spürte sie das unbändige Verlangen, das zu tun, was sie für richtig hielt, anstatt noch länger den bequemen Weg zu gehen und sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.
Letitia war kaum um den Zaun herum, als sie auch schon entsetzt stehen blieb. Sie konnte nicht glauben, was sie sah. Das Gelände war öde und schlammig, und ein entsetzlicher Gestank schlug ihr entgegen. Max hatte es ganz offensichtlich nicht für nötig befunden, seinen Arbeitern sanitäre Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Schlagartig begriff Letitia, warum die kanakas so oft unter Darmkrankheiten litten und weshalb die Sterblichkeitsrate so erschreckend hoch lag. Am liebsten wäre sie geflüchtet, ging aber entschlossen weiter bis zur Tür der baufälligen Baracke, wo sie auf dem Boden Blutstropfen bemerkte. Schreckliche Sorge um Elias überkam sie.
Trotz des Regens und des undichten Daches war die Luft in dem Gebäude stickig. Von einer Wand zur anderen standen Pritschen nebeneinander; andere Möbel gab es nicht, auch keine Bettwäsche. Letitia entdeckte Elias auf der zweiten Pritsche von hinten. Er lag auf dem Bauch, und sein Rücken war nackt. Als Letitia näher kam, hielt sie sich mit einerHand den Mund zu, um einen entsetzten Aufschrei zu unterdrücken.
Elias’ Rücken war blutig, die Haut zerfetzt von den brutalen Hieben, sodass an vielen Stellen das rohe Fleisch zu sehen war. Letitia empfand Hass auf ihren Mann – und zugleich tiefes Mitleid. Ihr war so übel, dass sie fürchtete, sich übergeben zu müssen.
Elias begann vor Schmerzen zu stöhnen. Als Letitia schließlich den Mut fand, ihn genauer anzuschauen, erkannte sie, dass Zeta seine Wunden gewaschen und Jod aufgetragen hatte.
»Elias ... ich bin es, Letitia«, flüsterte sie.
»Ich habe Saul nicht getroffen ...« Er schüttelte schluchzend den Kopf. »Und Noah auch nicht. Helfen Sie mir, Mistress ...«
»Was kann ich tun, Elias?«
»Jethro ... beschützen Sie Jethro ...«
»Wer ist Jethro?«, fragte Letitia leise und schaute sich verstohlen um.
»Willow Glen, Mistress. Halten Sie den Boss von dort fern!«
»Pssst, Elias. Sie müssen sich jetzt ausruhen!« Letitia überlegte fieberhaft, was Elias meinen konnte. »Jethro muss für Jimmy Hammond arbeiten«, sagte sie sich schließlich, denn ihr war eingefallen, dass Jimmy und Jordan früher enge Freunde gewesen waren.
»Hören Sie nicht auf sein Geschwätz«, sagte Milo plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher