Im Glanz der roten Sonne Roman
Mitgefühl stieg in ihm auf.
Letitia richtete sich auf und nickte. Jordan schenkte ihr sein schönstes Lächeln. Das Sonnenlicht, das durchs Blätterdach fiel, zauberte leuchtende Stellen auf Letitias Hut, ihre Schultern und Arme. Sie war noch immer eine sehr attraktive Frau; in ihrer Jugend musste sie eine Schönheit gewesen sein. Wieder überkamen Jordan Schuldgefühle, dass er Letitia benutzte, doch der Gedanke, was ihr Mann seinen Eltern angetan hatte, ließ jede Reue verfliegen.
Während Jordans Blick auf ihrem Gesicht ruhte, sah er die Unsicherheit und Verletzlichkeit, die er schon bei ihrer ersten Begegnung bemerkt hatte. Er spürte, dass es lange her seinmusste, seit jemand ihr so viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Letitia wusste nicht, was sie denken sollte. Wäre der Altersunterschied zwischen ihnen nicht so groß gewesen, hätte sie vielleicht geglaubt, dass Jordan auf eine Affäre mit ihr aus war, doch sie machte sich nichts vor. Jordan konnte jede Frau haben, die er begehrte, und dennoch ... sie war sicher, dass sie seinen Blick richtig deutete.
Aus dem Augenwinkel sah Jordan Gaby auf der Veranda stehen und nach ihnen Ausschau halten.
»Ich glaube, Ihr Tee ist fertig«, flüsterte er.
Letitia hätte sich am liebsten gar nicht bewegt. Sie war wie hypnotisiert von Jordans dunklen Augen und kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Er sah so gut aus, dass es ihr den Atem verschlug.
»Dann ... sollte ich Gaby nicht warten lassen«, sagte sie schließlich, drehte sich um und ging zum Haus.
11
D as nördliche Feld hätte schon vor zwei Tagen gerodet sein sollen, Jefferson. Was ist denn los?«
Es war noch früh. Max war ein Morgenmuffel, und genau das war auch der Grund dafür, dass Milo ihm bisher noch nichts über das aufsässige Verhalten der Feldarbeiter in den letzten Tagen erzählt hatte. An diesem Morgen aber, das wusste Milo, blieb ihm keine andere Wahl, als dem Boss die Wahrheit zu sagen. Er hatte fast zwanzig Minuten gebraucht, um die Arbeiter aufs Feld zu treiben; bei drei der jüngeren Männer hatte er sogar die Peitsche einsetzen müssen. Die anderen waren so langsam gegangen, wie sie es gerade noch wagten. Milo hatte nicht nachgegeben, obwohl die Feldarbeiter ihm und den drei anderen Europäern zahlenmäßig zehnfach überlegen waren – doch zwei von ihnen hatten ihn angestarrt, als wollten sie ihm das Herz aus dem Leib reißen. Deshalb hielt Milo es für besser, sich Max anzuvertrauen.
»Sie sind schon seit Tagen unruhig, Boss, und jetzt beschweren sie sich sogar. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch arbeiten. Selbst wenn ich sie schlage, nützt es nichts.«
Max’ finstere Züge spiegelten seine düstere Stimmung wider. »Worüber beklagen diese Mistkerle sich denn? Sie haben ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und ihren Lohn.« Er hatte dafür gesorgt, dass keiner seiner Freunde oder Bekannten erfuhr, in welch erbärmlichen Verhältnissen seine kanakas leben mussten. Einige Jahre zuvor hatte ein Wirbelsturm die Bäume und Sträucher fortgerissen, die das Arbeiterquartierzum Haus hin abgeschirmt hatten. Daraufhin hatte Max die kanakas einen hohen Zaun bauen lassen, der ihre jämmerlichen Behausungen vor neugierigen Blicken verbarg. Der Zaun hatte fast ebenso viel Geld verschlungen, wie es gekostet hätte, das Dach der Arbeiterbaracke instand zu setzen und das Gebäude mit einem Fußboden, Fenstern und Türen zu versehen. Doch Max war zu überheblich, als dass er diese Ironie gesehen hätte. Solange das Quartier von der Straße oder vom Haus aus nicht zu sehen war, hielt er sein Geld für gut angelegt.
In all den Jahren hatte Milo ein wenig polynesisches Pidginenglisch gelernt, genug, um die Klagen der Arbeiter zu verstehen, wenn sie miteinander flüsterten. Doch er hatte nicht etwa Mitleid mit ihnen – ganz im Gegenteil. »Sie haben gehört, wie viel Lohn den kanakas geboten wird, die in Eden arbeiten wollen«, sagte er. »Wir wussten ja, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde.«
Max fuhr ärgerlich auf: »Genau deshalb bietet Jordan ja eine so hohe Summe – um unsere Arbeiter unzufrieden zu machen. Ich habe ihm nicht eine Sekunde lang abgenommen, dass er an Gleichheit glaubt. Er will hier und auf den anderen Plantagen Unruhe stiften.«
»Mit diesem Problem sind wir bisher fertig geworden, aber unsere kanakas haben auch gehört, dass Jordan den alten Nebo zu seinem Aufseher ernannt hat, und das hat sie am meisten rebellisch gemacht.«
Max blieb der Mund offen
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