Im Hauch des Abendwindes
klappte die Kinnlade herunter. Sie starrte Jed fassungslos an. Seine Anschuldigung traf sie so schwer, dass sie drauf und dran war zu weinen, aber sie beherrschte sich. Zornig ballte sie die Fäuste.
»Ich bin nicht so versessen auf das Geld, dass ich dafür mein Leben riskieren würde. Ich dachte, du wolltest den Alice Springs Cup gewinnen? Wenn wir Silver Flake nicht zum Rennen melden, haben die Camilleri-Brüder gewonnen. Willst du das vielleicht lieber?«
»Nein, natürlich nicht«, knurrte Jed.
»Dann hör endlich auf, so negativ zu sein. Ich bin bereit, das Pferd zu trainieren und Geld für unsere Auslagen und für einen Jockey zu verdienen, und du kommst mir ständig mit irgendwelchen neuen Ausreden, warum wir Silver Flake nicht zum Rennen melden können. Hast du dir mal überlegt, dass ich auch einfach abreisen und warten könnte, bis du mir meinen Anteil auszahlen kannst, oder dass ich meinen Anteil irgendeinem Fremden verkaufen könnte?«
Bei dieser Vorstellung riss Jed erschrocken die Augen auf.
»Im Augenblick bist du auf meine Hilfe angewiesen, ob es dir passt oder nicht«, fügte Ruby hinzu.
»Sie hat Recht, Jed«, warf Kadee ein. »Du hast so viel Arbeit und Zeit in die Vorbereitung auf das Rennen investiert. Bevor diese Gangster dich zusammengeschlagen haben, warst du zuversichtlich, dass Silver Flake eine ausgezeichnete Chance auf den Sieg hat und sogar eine neue Rekordzeit laufen könnte. Das Pferd wird nicht jünger, weißt du. Entweder jetzt oder nie.«
Jed ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Er dachte auch an die Camilleris, die mit Sicherheit weiter nach ihm suchen würden. In Alice Springs, das weit außerhalb ihres Aktionskreises lag, wäre er wenigstens vor ihnen sicher.
»Jetzt, da das Training so lange unterbrochen worden ist, sind die Gewinnchancen deutlich gesunken«, murmelte er und tätschelte Silver Flake den Hals.
»Wenn sie nicht an den Start geht, hat sie überhaupt keine Chance zu gewinnen«, sagte Ruby.
»Richtig«, pflichtete Kadee ihr bei. »Ihre Chancen stehen ungefähr 1:10, aber sie hasst es zu verlieren.«
»Ich kann es kaum erwarten, sie rennen zu sehen«, rief Ruby aufgeregt.
Jed zögerte, fand aber keine Argumente mehr, und so nickte er schließlich und sagte: »Also gut. Wir werden nach Alice Springs fahren. Aber das bedeutet, dass in den nächsten Tagen eine Menge Arbeit auf uns wartet!«
19
Es war gegen Mitternacht, als Myra von einem markerschütternden Schrei aus dem Schlaf gerissen wurde. Sie fuhr senkrecht im Bett hoch und lauschte mit klopfendem Herzen. Nichts. Alles war ruhig. Sie lauschte noch ein paar Sekunden und sagte sich dann, dass sie offenbar nur geträumt hatte. Erleichtert legte sie sich wieder hin. Sie hatte kaum die Augen geschlossen, als ein zweiter Schrei die Stille zerriss.
Myra schreckte abermals hoch. Also war es doch kein Traum gewesen. Myra stand eilig auf, tastete mit den Füßen im Dunkeln nach ihren Hausschuhen und lief im Nachthemd nach draußen und schnurstracks zu dem Wohnwagen, in dem Ruby wohnte, seit sie in Silverton war. Sie spähte hinein und sah, dass Ruby friedlich schlief. Myra kam sich plötzlich dumm vor. Hatte sie sich die Schreie doch nur eingebildet? Aber dann hörte sie ein merkwürdiges, gedämpftes Geräusch, eine Art Ächzen.
»Wer ist da?«, rief sie. »Kommen Sie raus, damit ich Sie sehen kann!«
Stille.
Myra ging zurück ins Haus, holte eine Taschenlampe aus der Küche und leuchtete die Umgebung ab, aber sie konnte nichts Verdächtiges erkennen. Ringsum herrschte wieder Stille. Sie ging zum Hühnerstall hinüber, aber auch dort war alles ruhig. In einem weiten Bogen ging sie um das Haus herum und leuchtete in jeden Strauch. Nichts.
»Was machst du denn hier draußen mitten in der Nacht?«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Myra fuhr zusammen, kreischte auf und ließ vor Schreck die Taschenlampe fallen. Hastig bückte sie sich danach und richtete den Strahl auf das verschlafene Gesicht von Ruby, die in dem grellen Licht blinzelte und abwehrend die Hand hob.
»Himmel noch mal«, murmelte Myra. Sie ärgerte sich selbst über ihre Schreckhaftigkeit.
»Was ist denn los?«, fragte Ruby schlaftrunken. »Wonach suchst du?«
»Ich dachte, ich hätte etwas gehört«, erwiderte Myra, eine Hand noch immer auf ihrem wild klopfenden Herzen, das sich nur langsam wieder beruhigte. »Aber anscheinend habe ich mich getäuscht.« Sie wollte Ruby nicht unnötig beunruhigen. Die junge Frau stand
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