Im Hauch des Abendwindes
die angegebene Richtung. Da ertönte ein gedämpfter Schrei.
Verdutzt blieb Jed stehen und starrte angestrengt in das Dämmerlicht. Als sich seine Augen daran gewöhnt hatten, klappte ihm der Unterkiefer herunter.
»Ich glaub’s nicht!« Jed schüttelte den Kopf.
»Was? Was ist denn?« Ruby rappelte sich auf und spähte ihm über die Schulter. »Girra!«, rief sie ganz verdattert. »Was machst du denn hier?«
Dann erst bemerkte sie, dass das Mädchen nicht allein war: Ein junger Mann, nur wenig älter als Girra, drückte sich neben ihr in die Ecke. Langsam standen die beiden auf. Der Junge war groß, drahtig und gut aussehend, aber auch sichtlich nervös. Seine dunklen Augen huschten immer wieder zur offenen Tür, so als wollte er jeden Moment die Flucht ergreifen. Girra warf ihrem Begleiter einen kurzen Blick zu, sagte aber nichts.
»Deine Eltern sind ganz krank vor Sorge«, schimpfte Ruby.
Das Mädchen riss in Panik die Augen auf. »Sie dürfen auf keinen Fall erfahren, dass ihr uns hier erwischt habt!«
»Weißt du eigentlich, was für Probleme Charlie Gillard deinetwegen hat?«, sagte Jed zornig. »Alle denken, er hätte etwas mit deinem Verschwinden zu tun.«
Girra zuckte die Achseln. Das geschah Charlie ganz recht.
»Du musst deinen Eltern sagen, dass es dir gut geht«, beharrte Ruby. »Sie denken, dir sei weiß Gott was zugestoßen. Du kannst sie nicht im Ungewissen lassen.«
Girra blickte schuldbewusst drein. »Sagt ihnen, dass es mir gut geht, aber sagt ihnen auf keinen Fall, dass ich mit Darel zusammen bin.«
»Warum dürfen sie das nicht wissen?« Jed musterte den jungen Mann misstrauisch.
Girra schwieg einen Moment. Sie warf dem schlaksigen Burschen einen weiteren flüchtigen Blick zu und sagte dann leise: »Er ist nicht von meinem Clan.« Tränen standen in ihren großen braunen Augen. Sie sah Jed an. »Du weißt, was das bedeutet.« Es war eher eine Frage als eine Feststellung. Sie war sich wohl nicht sicher, wie viel Jed über die Sitten und Bräuche der Ureinwohner wusste.
Jed nickte. Ruby sah ihn fragend an, aber als er ihr keine Erklärung gab, wandte sie sich an Girra. »Ich verstehe nicht, Girra. Wo liegt das Problem?«
»Meine Familie will mich mit Arunta vom Stamm der Bulalli verheiraten, dem auch wir angehören«, antwortete das Mädchen verzweifelt. Arunta war schon älter und hatte aus einer früheren Ehe Kinder, die fast so alt wie sie selbst waren. Seine Frau war im Jahr zuvor krank geworden und gestorben. Girra liebte den Witwer nicht, und sie kam auch nicht mit seinen Kindern aus. »Ich will Darel heiraten, aber Darel ist vom Stamm der Wilyakali«, fuhr sie mit zitternder Stimme fort, wobei sie nach Süden zeigte, um anzudeuten, wo die Sippe zu Hause war. »Wir werden zusammen weglaufen.«
»Sie würden euch finden, Girra«, sagte Jed. Er hatte Mitleid mit den jungen Leuten. Geschichten wie die von Girra und Darel hatte er schon oft gehört. »Eure Leute würden euch finden, und dann wärt ihr wirklich in Schwierigkeiten. Ich an eurer Stelle würde offen mit der Familie sprechen. Vielleicht haben deine Eltern ein Einsehen; vielleicht akzeptieren sie deine Beziehung zu Darel.«
Falls Girra und Darel wegliefen und gefunden würden, würde der junge Mann möglicherweise mit seinem Leben dafür bezahlen, dass er den Wunsch von Girras Eltern nicht respektiert hatte. Die Gesetze des Clans kannten kein Erbarmen. Jed hoffte, es gelang ihm, dem Mädchen das begreiflich zu machen.
Sie waren sich endlich einig geworden. Charlie, Jacko und Jim McLeash hatten beschlossen, sich in Jims geländegängigem Jeep auf die Suche nach Girra zu machen. In den zwei oder drei Tagen, die sie unterwegs sein würden, wollte sich Myra um Charlies Laden kümmern.
»Wo steckt Ruby eigentlich?«, wandte sich Harold McGuire an Myra. »Ich wollte mir die Haare schneiden lassen, aber ihr Laden ist zu.«
»Sie trainiert doch Jeds Pferd«, antwortete Myra nur.
Der Hinweis darauf, dass Ruby mit ihrer Aktion gegen die Weigerung der Männer, nach dem Mädchen zu suchen, protestieren wollte, war jetzt ja überflüssig geworden.
Harold sah sie verblüfft an. »Was? Ich hab gar nicht gewusst, dass sie auch als Jockey arbeitet!«
»Sie hat reiten gelernt, und allem Anschein nach macht sie ihre Sache sehr gut.« Myra bemerkte, wie die anderen Frauen erstaunte Blicke wechselten.
»Und was ist mit dem Mädchen, dieser Kadee, die das Pferd für Jed trainiert hat?«, wollte Harold wissen.
»Sie ist anscheinend
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